Ich spiele schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, einen Beat-Roman zu schreiben. Als großer Fan von William Burroughs, Allan Ginsberg, Jack Kerouac und anderen, liegt das irgendwie nahe. Mein Problem ist, dass ich kein Kerouac bin, mein Talent reicht dafür nicht einmal annähernd. Natürlich hält mich das nicht davon ab, einen Versuch in diese Richtung zu unternehmen. Der folgende Text ist ein kleiner Auszug, sozusagen die Einleitung, zu einem umfassenderen Werk, mit dem Titel "Nackfahrt". Was sich jetzt vielleicht etwas "unanständig" anhören mag, hat tatsächlich einen tieferen Sinn - dieser wird sich aber natürlich erst aus dem Werk selbst erschließen. Wie immer möchte ich jeden davor warnen diese Zeilen zu lesen. Zum einen all jene, die unter 16 Jahre alt sind - die Beat-Poeten waren nicht gerade bekannt für ihre dezente Ausdrucksweise. Die Dinge werden beim Namen geannt - wer also unter 16 ist, hat hier eigentlich nichts verloren. All jene, die "saubere" Kurzweile suchen. Dieser Text ist nicht lustig, nicht schön und auch nicht poetisch - er "ist" einfach. Die Leute darin sprechen wie Leute es im wirklichen Leben tun, ohne diesen komischen Hollywood-Filter nach dem alle so zu reden haben wie die typische Werbefamilie morgens um halb acht vor der Schule. Eine besondere Warnung an alle, die meine anderen Werke mögen. "Nacktfahrt" ist ein Experiment, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Als Psychologe würde ich sagen, dass der innere Zensor bei diesem Werk ein wenig häufiger schlafen wird als bei meinen anderen Sachen. Und ich habe auch nicht vor in Zukunft mehr solche Werke zu verfassen. Nacktfahrt ist meine persönliche Hommage an eine Generation von Schriftstellern, die mittlerweile von uns gegangen ist. Auch wenn ich denen nicht das Wasser reichen kann - hier kommt ein Salut an die Jungs, die der Welt die Augen geöffnet haben.
Ich war nicht immer verrückt. Und selbst wenn, hätte ich es ob des dunklen Herzens in meiner Brust wohl kaum bemerkt. Auf die Idee es mir zu sagen wäre auch niemand gekommen, ich bin nicht der Typ, den man auf seinen Wahnsinn anspricht. Dazu zelebriere ich ihn zu gerne. Aber das alles macht jetzt ohnehin keinen Unterschied mehr. Nicht, wenn man man, wie ich, in einer dunklen Straße steht, die sich als verdammte Sackgasse entpuppt, irgendwo zwischen stinkenden Müllcontainern aus mit Graffiti besprühtem Stahl und sich lautstark paarenden Katzen. Natürlich ist es Nacht und nicht mal der Mond macht sich die Müde zu leuchten. Typisch. Nur eine flackernde Außenbeleuchtung voller Fliegendreck und die rot-grünen Positionslichter von Flugzeugen weit über mir. Man hat wohl nicht damit gerechnet, dass sie irgendwer hierher verlaufen könnte. Die Wände ragen links und rechts hoch hinauf. Architektonisch völlig unbedeutend. Ein Ort, an dem jene leben, die nirgendwo sonst mehr einen Platz gefunden hätten. Wahrscheinlich die letzte Station auf dem Weg zum Pappkarton hinter dem Schnellimbiss. Ob man mein Lächeln in der Dunkelheit wohl sieht? Stehe ich doch auch hinter einem solchen Schnellimbiss. Sonst würden die Müllcontainer wohl kaum so penetrant nach Essensresten stinken. Bestialisch. Ranziges Fett. Alte Brötchen. Schimmel und billiges Essen. Was nicht in den verdorbenen Mägen irgendwelcher geschmacksverwirrter Zombies landet, endet irgendwo hier. Und vielleicht auch der eine oder andere Gast, dessen Innereien nicht mehr mit dem Abfall fertig wurden. Zumindest die Küchenschaben tanzen vor Freude. Die überleben das. Man sagt ja auch sie würden den Atomkrieg überstehen. So bin ich also in der Hölle gelandet. Die meisten anderen müssen dafür erst sterben. Aber wie immer gehe ich die Dinge in der falschen Reihenfolge an. Und irgendwie ist das alles sehr passend. Wie ich herumstehe , in meinem letzten paar Hosen. In meinem vorletzten Paar starb Donny und das davor habe ich am Strand verloren. Mein Stoff ist auch alle. Das leere Beutelchen in meiner Hosentasche dient höchstens nur noch dazu, mich an all das zu erinnern, was schief gelaufen ist. Jetzt. Gestern. Vor zwei Wochen. In meinem ganzen beschissenen Leben. Aber ich war nie ein großer Denker, wäre wohl Zeitverschwendung in den letzten Minuten darüber zu grübeln. Die Fahrt ist fast zu ende, würde Donny sagen. Die glitschig feuchte Gasse endet an einer Mauer, direkt an einem Kanaldeckel. Vielleicht wäre die Kanalisation eine Option, aber die Deckel sind zu schwer, ohne entsprechende Gerät kriegt man sie gar nicht auf. Klar hab ich Angst. Wer hat die nicht? Und in meiner Situation sowieso. Drinnen an dem billigen Plastiktisch steht noch mein Milchshake. Donny sagte immer, dass Zucker gegen die Entzugserscheinungen hilft. Keine Ahnung, kam ja nicht dazu einen Schluck zu nehmen, als die anderen zur Türe hereinkamen. So schnell hat mich noch niemand aufspringen und laufen sehen. Wäre ich mal besser in die andere Richtung gelaufen. Diese verdammte Türe zum Hinterhof. Musste ja in einer Sackgasse enden. Und in der Ferne läuten diese verdammten Glocken. Ginge das alles noch ein kleines bisschen melodramatischer? Ist ja nur mein Leben, das gerade in den letzten Zügen liegt. Auf dem Boden wächst Moos und er ist so verdammt glitschig, dass ich auf dem Weg zur Mauer am Ende der Gasse immer wieder ins Schlittern komme. In einem kindische Anfall gleite ich sogar einen Meter weit. Komisch, wie ein schönes Gefühl mit den dazugehörigen Erinnerungen die Wirklichkeit des Hier und Jetzt für den Bruchteil einer Sekunde ausblenden kann. Aber nicht länger. Nie länger. Wieso hier wohl alles Mögliche Zeugs wächst? Wahrscheinlich schüttet der Besitzer das Putzwasser jeden Tag einfach in die Gasse und lässt es den Gulli hinunterrinnen. Herrlich für das glitschige Zeugs, gedeiht in allen Farben. Aber das bringt mich auch nicht weiter. Zumindest nicht weiter als die Wand, die glatter ist als mein Arsch. Man müsste schon ein Spinnenmensch sein um an ihr hochzukommen. Und da sind sie auch schon. Sie treten in die Gasse und mir bleiben noch wenige Augenblicke, gerade so lange wie es für deren Augen dauert, sich an die Dunkelheit hier draußen zu gewöhnen. Übersehen können sie mich ja schlecht. Zumindest stehe ich schon an der Wand. Spart Zeit. Und Zeit ist Geld. Aber so viel wie ich Zieck schulde, wird auch das nicht reichen. Langsam drehen sie sich um zu mir. Alle fünf. Er selbst ist mit ihnen gekommen. Eigentlich ziemlich respektvoll von ihm. Und wieder denke ich bei mir, dass er kein Mensch ist. Nicht so wie er aussieht. Eine verdammte, entstellte Fratze in einem Hugo Boss Anzug, der mehr kostet als der durchschnittliche Wagen in dieser Gegend. Wesentlich mehr als ein Menschenleben wert ist in seiner Welt. Bei der Visage krieg ich immer Bauchkrämpfe. Schwellungen unter der Haut, am Hals, an der Stirn. Verzogene Proportionen und ein irres Funkeln in den Augen, die irgendwie zu klein sind und zu tief in den Höhlen liegen für einen Menschen. Nein, Zieck ist sicher nicht wie Du und ich.
„Daniel, da bist du ja!“
Ziecks Stimme ist wie immer fein, als hätte er Kreide gefressen. Ein perfekter Gentleman. Er könnte dir den Darm durch den Bauchnabel rausreißen und immer noch eine zivilisierte Unterhaltung mit Dir führen. Warum ich das weiß? Weil ich es gesehen habe. Ganz einfach.
„Wir haben dich überall gesucht. Wie kommst du hierher?“
Das ist eine verdammt gute Frage. Aber die Geschichte dahinter ist etwas länger. Und sie beginnt mit einer Fahrt.