Also gestern habe ich auf einer längeren Zugfahrt auf meinem iPod Touch (man verzeihe die subtile Schleichwerbung aber ich mag das Teil wirklich und bekomme absolut kein Geld von Apple für – im Gegenteil, ich habe verdammt viel dafür bezahlt) wieder mal „Live at Landlocked“ von Damien Jurado gehört.
Wer den Kerl noch nicht kennt sollte das schnell ändern. Wobei man den Stil auch mögen muss. Seine Musik ist sehr textlastig, soll heißen, dass die Melodie vielfach nur den Text unterstützt und nicht, wie bei so manchen anderen Musikern und Bands, der Text nicht mehr als triviales Beiwerk ist um die Zeit bis zum nächste Gitarrensolo bzw. gestöhnten Powergesang zu überbrücken. Im Grunde sind die meisten Songs von Damien sehr ruhig und der Fokus liegt auf seiner Stimme und einer Gitarre. Mag für manche jetzt langweilig klingen – mir gefällt’s.
So saß ich da im Zug, ließ die Kilometer an mir vorbeiziehen und dann lief wieder dieses eine Lied: „Sheets“ von besagtem Herrn Jurado. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass mich die Lyrics immer wieder packen und durch den Fleischwolf drehen. Dabei weiß ich nicht einmal so genau warum – außer, dass ich das Gefühl habe genau zu verstehen wie der Text gemeint ist. Eine persönliche Verbindung. Vorweg sei aber auch gesagt, dass ich noch nie mit Damien persönlich darüber gesprochen habe (und nein, ich kenne ihn nicht also wird das eher schwerlich geschehen), ich weiß nicht wie seine Interpretation aussieht. Vielleicht liege ich ja völlig falsch? Wäre nicht das erste mal.
So wie ich den Text verstehe geht es um einen Mann, der in einer Beziehung mit einer Frau ist, die noch an einem anderen hängt. Wer kennt das nicht? Die Freundin kommt einfach nicht vom Ex los, aus irgendeinem Grund fühlt sie sich noch mit ihm verbunden. Vielleicht weil sie glaubt, dass er nicht so recht über die Trennung hinwegkommt und ihm helfen möchte, vielleicht weil er eine „verletzte“ Seele ist, die immer noch ihren Zuspruch braucht. Das Lied beginnt so:
Is he still coming around like an injured bird needing a nest?
A place to rest his head in a song you'll regret
Lord knows I don't want to compete
But I still sleep in the very sheets he's been in
Is he still coming around like an injured bird needing a nest?
A place to rest his head in a song you'll regret
Lord knows I don't want to compete
But I still sleep in the very sheets he's been in
Ich finde das ziemlich treffend. Er, der immer wieder vorbeikommt wie ein verletzter Vogel der ein Nest braucht. Und auf der anderen Seite das Erzähler-Ich, welches irgendwie spürt, dass es dagegen nicht ankommt aber trotzdem auch nicht einfach weg kann. Der Erzähler schläft in denselben Laken in denen auch „er“ schläft. Also ich persönlich finde diese Textstelle extrem hart und unglaublich ehrlich.
Seid Ihr nicht auch schon mal in einer solchen Situation gewesen? Vielleicht war es ja nicht mal wirklich euer Freund oder eure Freundin, welche nicht von jemandem losgekommen ist aber alleine von außen dabei zuzusehen kann verdammt weh tun, weil es einfach nicht gesund ist. „Er“ kommt immer wieder zurück, zeigt seine Wunden und „sie“ geht sofort in den barmherziger Samariter Modus ohne zu merken, wie weh das dem eigentlichen Partner tut. Ich habe auch schon Männer gekannt, die das absolut ausgenutzt haben. Natürlich auch Frauen. Ich benutze hier vorwiegend eine bestimmte Geschlechtsform weil ich die Geschichte hauptsächlich von einer Seite her kenne – man mag mir dies nachsehen (oder auch nicht). Und wenn mir mal ehrlich sind – wollen wir nicht alle dem „armen verwundeten Wesen“ helfen – aber was, wenn wir dabei anderen weh tun? Und was, wenn der vermeintlich Verwundete gar nicht so verletzt ist wie er es vorgibt zu ein? Wenn es alles nur ein Spiel ist? Eine Masche? Ich habe das schon erlebt.
Es ist ja generell verblüffend wie manipulativ Menschen werden können wenn es um die Liebe geht. In solche Situation sind sie sich für nichts zu schade und kein Trick scheint mehr zu schmutzig zu sein. Aber wie sagt man so schön: „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“. Und nirgendwo sonst zeigt der Mensch sein wahres Gesicht in all seiner Scheußlichkeit. Andererseits sind es auch der Krieg und die Liebe in der die Menschen über sich hinauswachsen und ihr wahres Potenzial entfalten. Sowohl im Positiven als auch im Negativen. Das Gute und das Böse liegen eben doch nahe beieinander.
Ist das vielleicht auch der Grund warum sich viele Leute recht offensiv so geben? An dieser Stelle komme ich leider nicht an einem mehr oder weniger kleinen Seitenhieb auf Twilight vorbei. Ist Edward nicht die fleischgewordene „Verwundung“ schlechthin? Wenn man in seine müden, schmerzgeplagten Augen blickt, seine gequälte Mimik – ja seine ganze Körperhaltung schreit einfach nur: „Meine Seele leidet, halt mich fest, gib mir ein Nest und pfleg‘ mich gesund!“ Könnte ja sein, dass da auch Berechnung dahinter steckt. Also jetzt nicht von Edwards Seite (der Arme ist ja nur eine fiktive Gestalt) aber doch von Seiten der Autorin. Verliebt sich die „Krankenschwester“ nicht oft in ihren „Patienten“? Hierzu würde mir der „Florence Nightingale Effect“ einfallen. War aber auch wirklich schlau Edward so anzulegen. Wobei natürlich schon der eine oder andere Vampir bei Anne Rice in diese Kerbe schlägt (an alle die sich nicht mehr erinnern: Anne Rice schrieb tolle Vampirbücher lange bevor es „in“ wurde als Geschöpf der Nacht im Sonnenlicht zu glitzern).
Sollte man aus all diesen Gründe potenziell verletzte Vögel im Auge behalten? Wer weiß, wann die ein Nest brauchen und wo sie es baue wollen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Im Grunde ist es auch so wie mit allen Dingen des Lebens – man zimmert sich selbst irgendwelche Richtlinien zusammen, versucht sich dran zu halten und schraubt mit der Zeit dran herum bis man so etwas wie eine persönlich Ethik vor sich hat in der man in der Nacht beruhigt schlafend kann. Aber mehr als eine provisorische Hundehütte wird es nie werden. „It’s all kinda touch and go“. So würde der Anglophile wohl sagen.
Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Im Grunde zwei Dinge: Damien Jurado ist ein verdammt guter Singer/Songwriter der echte Emotionen hervorrufen kann und manchmal sind die Menschen nicht das, was sie scheinen. Ich denke den Rest überlasse ich den Lesern dieser Zeilen und würde mich über Kommentare freuen.
Ein interessanter Text, der dem Lesen nach eindeutig aus einschlägiger Erfahrung herrührt. Man könnte das Ganze auch als den Dorian-Grey-Effekt bezeichnen - ein äußerer Eindruck, der sein Gegenüber anzieht, ohne den Ballast und die Abgründe hinter der Fassade preiszugeben. Allerdings funktioniert die Sache nur beidseitig: der verletzte Vogel, der eventuell doch recht gut fliegen kann, muss auf jemanden treffen, der sich ein Vögelchen wünscht, das verletzt ist - zwei Bedürfnisse, die ihre eigene Realität erschaffen und sich in einer ungesunden Beziehung gegenseitig auffressen.
AntwortenLöschenZu dem Text spare ich mir mal ausschweifende Kommentare. Vielleicht weißt du warum. Auf jeden Fall ist er sehr ehrlich und ansprechend geschrieben... Auch wenn ich deiner Auffassung von Edward nicht ganz zustimmen kann (aber auch das weißt du ;))
AntwortenLöschenNur soviel sei gesagt: ja, es tut verdammt weh, sowas von außen mit ansehen zu müssen.