Mittwoch, 20. Juli 2011

Heather Nova "300 Days at Sea" - Eine Rezension


Eine Warnung: Dies ist eine Rezension, die meine persönliche Meinung bezüglich eines musikalischen Werkes widerspiegelt. Es sollte klar sein, dass ich keinerlei Rechte an den erwähnten Inhalten besitze - diese sind den jeweiligen Künstler, Labels oder so vorbehalten. Wer sich schwer mit anderen Meinungen tut oder glaubt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, sollte an dieser Stelle vielleicht aufhören zu lesen. 

Ich bin ein ziemlich großer Fan von Heather Nova. Kennt die noch wer? Damals, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre war sie eine wirklich große Nummer, in den USA und Deutschland sowieso. Wahrscheinlich wäre vieles von dem, was ich damals gemacht habe, völlig anders verlaufen ohne Songs wie „London Rain“, „Walk this world“, „Truth and Bone“ und „Heal“. In meinen großen Online-Rollenspiel-Zeiten (Ultima Online und dann Everquest) lief die gute Dame immer im Hintergrund – quasi ein alternativer Soundtrack. Und das Abitur? Die Nacht davor saß ich Stunden um Stunden vorm Fernseher und habe mir ihre Videos angesehen. Damals gab es noch diese tolle Sendung auf SWR3 (glaube ich – kann aber keinen Eid darauf leisten, da doch schon 13 Jahre vergangen sind und der Menschen vergisst manchmal schrecklich schnell) namens „Extra Spät“. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – eine komplette Sendung in der fast nur Musikvideos liefen. Kein Jersey Shore, keine durch geknallten 16jährigen und ihr Geburtstag der sogar in Sodom und Gomorrha noch ein paar erstaunte Blicke auf sich gezogen hätte – überhaupt nahm die öffentliche Erniedrigung von Menschen im Fernsehen eher eine untergeordnete Rolle ein in jenen Tagen (abgesehen von ein paar Volksmusiksendungen aber davon wollen wir jetzt nicht reden). Also saß ich vor dem Fernseher, irgendwie total nervös, eine ungewissen Zukunft im Nebel und ließ mich von Heather beruhigen. Noch heute tragen mich ihre Worte durch so manche Nacht: 

And when somebody knows you well
Well there's no comfort like that
And when somebody needs you
Well there's no drug Iike that

Vor Kurzem erschien ihr neues Album “300 Days At Sea”. Da die letzten Scheiben es einfach nicht mehr ganz schafften, mich so zu berühren wie „Oyster“ (1994) und „Siren“ (1998), sollte meine Skepsis verständlich sein. Gekauft habe ich die neue CD natürlich trotzdem. Und ich muss sagen: Von Enttäuschung diesmal keine Spur. 

Für mich war Heather immer etwas Besonderes weil sie das spezielle Kunststück schaffte, die bedeutungsvollen, manchmal brutal ehrlichen Texte einer Indie-Produktion mit den eingängigen Melodien von Mainstream-Pop zu koppeln (aber ohne so glatt und überproduziert zu wirken wie diese). Dabei wirkte sie nie irgendwie gekünstelt, durch produziert und zu sehr gewollt. Andere habe das auch versucht. Liz Phair zum Beispiel. Aber sie schaffte eigentlich immer nur das eine oder das andere. Hatte sie eine eingängige Melodie, dann blieb der Text trivial und bekam sie einen spannenden Text zusammen, passte die Melodie nicht so ganz. Eine andere große Künstlerin, Tori Amos, bekam das Kunststück in recht beeindruckender Weise hin. Vor allem in ihrer „Little Earthquakes“ und „Under The Pink“ Phase in der ersten Hälfte der 90er. Heather machte meistens Musik bei der man das Licht aus- und ne Kerze anmachen konnte. Ihre Art zu singen ist ehrlich und natürlich. Einer der Gründe warum ich mit den meisten aktuellen Sängerinnern, vor allem R’n’B, wenig anfangen kann ist, dass diese sehr gekünstelt singen – meist mit Autotune (oh Du verfluchtes Autotune … und wir haben uns an die unnatürlichen Slides in der Stimme schon so gewöhnt, dass wir bald denken, das müsste so klingen) und diesem Powergesang verhaftet (meiner Ansicht nach ein Werk des Teufels!) – bin ich seltsam, wenn ich nicht drauf stehe, dass eine Frau klingt, als hätte sie schwere Atemprobleme und/oder einen Orgasmus? Innerhalb weniger Sekunden drei Oktaven rauf und runter rutschen zu können mag ein Beweis für deren Stimmumfang sein (und für die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule durchaus geeignet) aber prickelnd finde ich es nicht (siehe Mariah Carey und Whitney Houston). Und Leute wie Rhianna, Toni Braxton oder wie sie noch so heißen sind mir musikalisch zu unpersönlich (sind halt keine Singer-Songwriter) und/oder bemühen sich zu sehr einem marketingtechnisch durchgeplanten Image zu folgen (Gwen Stefani, Christina Aguilera). 

Aber genug davon – schauen wir uns lieber Heathers neues Kunstwerk an. Schon das Cover finde ich wundervoll – sie sitzt in einem Boot (sieht ein bisschen wie ein Kajak aus, aber ich hab da wirkliche keine Ahnung von) und ein kleiner Hund blickt keck auf das Meer hinaus. Sie bleibt also diesmal ihrem bevorzugten Thema treu: Dem Meer. Verwundert auch nicht, schließlich hat sie den größten Teil ihrer Kindheit auf einem Boot mit ihren Eltern und Geschwistern verbracht. Das prägt. Das Thema ging mir ja in den letzten Jahren etwas ab.  

Hier ein kurzer Überblick der Songs:

1. Beautiful Ride: Passt sehr gut als Opener. Ein etwas schnellerer Song (wie ich ihn auf den letzten 3 CDs eher vermisst habe). Inhaltlich handelt er von der Erkenntnis, dass dieses Leben im Prinzip ziemlich gut ist und man es genießen sollte so lange es dauert.
2. Higher Ground: Gehört definitiv zu meinen liebsten Songs auf der CD. Auch wieder eine etwas schnellere Nummer. Es geht darum, was man für Menschen die man liebt tun würde und weas das aus einem macht. Ob sie von ihrem Sohn oder ihrem Mann singt bleibt der Fantasie des Zuhörers überlassen.
3. Stop the Fire: Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Lied wirklich verstehe. Je nachdem in welcher Stimmung ich bin passt es oder fühlt sich mehr wie ein Lückenfüller an. Eines der wenigen Lieder die auf jeden Fall mit Regelmäßigkeit übersprungen werden.
4. Save a little Piece of Tomorrow: Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Zeit, die nicht mehr ist. Im Grunde ganz nett aber nichts Besonderes.  
5. Everything Changes: Oh ja, sie hat es definitiv noch drauf. Dieser Song ist herrlich düster, mehrdeutig und getränkt mit Teenage Angst. Wahrscheinlich das von mir am meisten gehörte Lied auf der CD.
6. Do Something that Scares You: Nette Botschaft, ist aber mehr Spoken Word und nicht so mein Ding. Vernachlässigbar.
7. The Good Ship „Moon“: Wahrscheinlich das komplexeste Lied auf der ganzen CD und man müsste wohl Heather selber fragen was der Text genau bedeutet. Die Melodie ist schwer, langsam und irgendwie schön. Der Text beginnt mit dem Schiff „Moon“, welches man sinken ließ und befasst sich dann mit den daraus resultierenden Gefühlen. Das Schiff als Metapher (oder tatsächlich als) Heimat, welche nicht mehr existiert. Aber die Erinnerung ist noch da. Die Vergangenheit ist ebenso unerreichbar wie das Schiff unter den Wellen. Wäre es nicht schön den Atem anhalten zu können und einfach hinab zu sinken? Und was hat es mit den Stücken der Kindheit auf sich, den Gefühlen, die man so gerne noch einmal erleben würde? Auch etwas, was man mit 20 vielleicht noch nicht so verstehen kann – dazu musste sie erst über 40 werden.     
8. Turn the Compass Round: Ein klassisches Beispiel für die reifere Heather Nova. Irgendwann im Leben ist der Punkt erreicht, an dem man genug über die Welt gewandert ist und zurück in den Hafen will, dort wo man herkommt, „home“ halt. Finde das auch sehr interessant im Zusammenhang mit dem 13 Jahre alten Song „Walk this World“ auf „Siren“ … man hat fast das Gefühl diese beiden Lieder stellen einen Dialog dar zwischen Heather der Jüngeren und Heather der Älteren. Wenn es so gedacht war, dann ziehe ich meinen Hut vor dieser Künstlerin. Und wenn nicht … ist es trotzdem noch toll!
9. Burning to Love: Ok, dieser Track ist nett. Aber mehr nicht. Die Botschaft – Wir alle brauchen Liebe, brennen danach. Recht trivial. Kann man locker überspringen.
10. I’d Rather Be: Vom Stil her das auffälligste Stück. Beschwingt, beinahe schon fröhlich. Heather zelebriert sich selbst und scheint Spaß dabei zu haben. Finde ich gut.
11. Until the Race is Run: Ich mag dieses Lied. Die Botschaft könnte nicht einfacher sein – Es ist nicht vorbei, solange es nicht vorbei ist. Und während noch Leben in diesem Körper steckt, wird gekämpft und weitergemacht. Und auch wenn wir es am Ende nicht schaffen, dann gehen wir wenigstens hoch erhobenen Hauptes raus. Auch einer der Songs, in dem sich Heather durchaus verletzlich und unsicher zeigt. Ein ehrliches Stück Musik, das sich am Ende zu einem richtig epischen Kracher steigert bei dem ich mir persönlich wünsche er würde nie enden.
12. Stay: Ein Top-Favorit und ein gutes Beispiel für Heathers Talent bedeutungsvolle Texte mit eingängigen Melodien zu paaren. Extrem dichte Atmosphäre, sehr simpel eigentlich mit einer traurig weinenden Geige und einem wunderschönen Text. Spricht extrem den Romantiker in mir an. „This is what I want, nothing more“ … Stimmt.  

Was beim durchhören auffällt ist, dass Heather merklich älter und auch reifer geworden ist. Ihre Lieder handeln viel weniger als früher noch von der Suche nach einem Weg durch und einen Sinn im Leben sondern vielmehr davon das, was man hat, zu schätzen, einem schützenden Hafen und auch die Rückkehr zu einem solchen. Hat sie aufgehört nach vorne zu blicken? Das glaube ich nicht und ein Lied wie „Until the Race is Run“ widersprechen dieser Theorie … aber sie hat definitiv ihren Platz im Leben gefunden und scheint recht zufrieden damit. Man sollte mich jetzt hier nicht falsch verstehen: „300 Days At Sea“ ist kein zweites „Siren“ und schon gar kein neues „Oyster“. Ihre Kanten und Ecken haben definitiv an Schärfe verloren – die harten Nummern sind weicher und die Balladen süßlicher. Eine Dynamik wie in „Throwing Fire at the Sun“ oder „Blood of Me“ findet man noch hier und da aber definitiv abgeschwächt. Auch fehlt den Texten hier und da mal die Härte und Hintergründigkeit der frühen Werke. Aber ich denke das ist ein natürlicher Prozess der bei den meisten Songwritern stattfindet … der Alltag holt alle irgendwann ein. Oder bin ich einfach älter geworden?

Fazit: Ich kann „300 Days At Sea“ nur wärmstens empfehlen. Dies ist das Album, auf welches ich seit „Siren“, und das ist immerhin 13 Jahre her, gewartet habe. Wenn sie diese Scheibe 2000, als Nachfolger von „Siren“, veröffentlicht hätte, wäre Heather heute wohl der Superstar, für den ich sie immer hielt und noch halte. Wer Heather Nova noch nicht kennt, sollte vielleicht eher mit „Oyster“ beginnen und sich dann zu „Siren“ hinarbeiten – das sind die die Werke, für die man sich an Frau Nova erinnern wird. Aber jeder Fan, wie ich, der nach so vielen Jahren immer noch darauf hofft, Musik von ähnlichem Kaliber nachgereicht zu bekommen, wird nicht enttäuscht sein. Da sieht man auch gerne über etwas „Füllmaterial“ hinweg“.   

Anspieltipps für Unentschlossene: Higher Ground, Everything Changes, Until the Race is Run und Stay

1 Kommentar:

  1. Ich habe mir grade "Über mich und das Bloggen" durchgelesen und habe mich echt schlapp gelacht! XD Also bei mir war "Blogger" der erste Treffer, haha. :D

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