Montag, 4. Juli 2011

Verschollene Werke oder Warum ich früher viel genialer war


Wie immer ein Wort der Warnung: In letzter Zeit klinge ich immer häufiger in erschreckender Weise wie ein alter Mann. Woher das kommt? Entweder ich werde wirklich und wahrhaftig alt oder aber der Sommer und die Umstände tun mir nicht gut. Der folgende Text ist meine persönliche Meinung und ergibt sich streng logisch aus meinen Lebenserfahrungen. Ich gestehe aber freimütig ein, dass ich, wie alle anderen auch, nur eine subjektive Meinung habe und von der Wahrheit rein gar nichts weiß. So, wer jetzt immer noch lesen mag kann das tun.

"Die besten Texte sind ja immer jene, die man nicht geschrieben hat."  Keine Ahnung, wo ich das mal gehört habe, aber irgendwie macht es Sinn. Jeder geschriebene Text kann und wird auch Fehler enthalten, Unschärfen, die einfach der simplen Tatsache geschuldet sind, dass wir mit der Sprache nur ein sehr grobes Werkzeug zur Hand haben. Sehen wir die Gedanken als Skalpell, so ist die realisierte Sprache der Holzhammer. Klar kann der Job damit auch erledigt werde, aber nur mit massiven Kollateralschäden. 

Wenn nun die niemals geschriebenen Texte die Besten sind, dann nehmen die Verschollenen auf jeden Fall einen guten zweiten Platz ein. Kennt Ihr das mit den verschollenen Werken? Also ich war ja in meiner Anfangszeit recht gedankenlos, wenn es um die Verteilung meiner Worte und Gedanken ging. So zwischen dem zwölften und zwanzigstem Lebensjahr habe ich so gut wie alle Texte, oftmals im handgeschriebenen Original, herumgereicht und vieles davon, wenn nicht sogar das Meiste, kam einfach nicht mehr zurück.

Warum habe ich das getan? Nun ja, das Schreiben war nie etwas Besonderes für mich, ich hab’s getan weil ich es konnte und der Akt des Fantasierens und Schreibens mir enormen Spaß gemacht hat. Die Texte wurde in dem Moment uninteressant, in dem sie meine Feder (oder mit der Zeit immer häufiger: meine Tastatur) verließen. Alles was danach kam schien irgendwie lästig und von geringerem Wert zu sein. Schon alleine der Gedanke sich mit Verlegern, Agenten, Zeitungsmenschen oder Kritikern herumzuschlagen schien absurd, nutzlos und schlichtweg erschöpfend – also habe ich es gelassen und die Texte so an meine Umwelt weitergegeben, direkt und ohne Rückfahrkarte. Ok, ich habe nie gesagt „komm, behalte es“ aber auch nie sonderlich aufmerksam Buch darüber geführt, wer gerade was liest.

Wie gesagt, das meiste davon ist futsch und wird auch nie mehr wieder auftauchen. An den Großteil dieser Frühwerke kann ich mich nur mehr sehr nebulös erinnern, wie an eine Geschichte man mal gelesen hat, aber nicht mehr genau weiß, worum es im Kern ging oder was am Ende bei rauskam. Manchmal denke ich an die Texte und hätte sie gerne wieder. Sind ja auch irgendwie Teil meiner Vergangenheit. Und dann, wenn mir wieder so ein Geistesblitz kommt und mir einfällt, worum es im Groben bei einer dieser Geschichten ging, überkommt mich das Gefühl, ein Meisterwerk verloren zu haben. Das Gemeine daran ist, dass man dieses Gefühl nicht wiederlegen kann.  Wie auch? Die Grundlage der Vermutung ist ja weg. Verloren. Auf immer dem Orkus übergeben. Dieses Gefühl der Großartigkeit des Geschreibsels nimmt proportional zu der Zeit zu, die vergangen ist, seit ich das Zeug zum letzten Mal in Händen hielt. Vielleicht ist dieser Gedanke der Schlüssel zur Lösung des Rätsels, warum die verschollenen Werke so verdammt gut und eigentlich viel besser als alles Aktuelle waren. Mit den Jahren verblasst all der Müll, der Ärger über verpatzte Sätze und unglückliche Formulierung, der Groll gegen die eigene Fantasie, die einfach nicht so will wie man das gerne hätte. Was zurückbleibt ist die Erinnerung an das Gefühl zu Schreiben, dieses leichte Schweben im Schaffensprozess, eingedenk der Tatsache, dass man etwas völlig Neues schafft, das in exakt dieser Form noch nie da war. Die simple Tatsache eines kritischen Lesedurchganges oder gar eines Lektorats könnte dieses Gefühl recht schnell auf den harten Boden des literarischen Alltags zurück holen – aber das geht ja mit den verschollenen Werken nicht mehr. Also werden sie in der Erinnerung auf ein Podest gestellt und können dort leuchten so hell sie wollen, es wir nie jemand prüfen kommen ob da wirklich eine 100 Watt oder doch nur eine 10 Watt Lampe drin steckt.

Manchmal, wenn ich alte Sachen hervorkrame, die noch existieren, bin ich ja ein wenig enttäuscht. Ich hätte mir mehr erwartet. Irgendwie wirkt der Stil unausgereift, Spuren von pubertärem Humor schlummern zwischen den Zeilen wie altes Konfetti von 1999 im Handschuhfach Deines Wagens. Das Gesamtbild ist einfach nicht mehr stimmig. Unterm Strich: Irgendwas ist in der Zwischenzeit passiert … mit etwas Glück was es ein Reifungsprozess. Oder einfach nur Alterung. Wahrscheinlich würde es mir mit den verschollenen Geschichten ähnlich gehen, hielte ich sie wieder in Händen. Vielleicht aber auch nicht. Und dieser Restzweifel nagt. Aber jetzt mal ehrlich – sind nicht die meisten Texte, die man über die Zeit hinweg, vor allem in den ersten zwei bis drei Lebensjahrzenten, verfasst, nur Fingerübungen die uns schleifen und formen sollen? Bis zu dem Punkt, an dem wir wirklich unser Magnum Opus zu erschaffen im Stande sind. Heute werden ja absurde Anstrengungen betrieben möglichst junge und immer jüngere Talente zu entdecken. Die meisten Schreibenden, die ihre ganz alten, vielleicht sogar ihre frühesten Werke, hervorholen, werden sich einig sein, dass sie damals einfach noch nicht „bereit“ waren. Also was genau tun wir da heute? In einer Lokalzeitung liefen vor kurzem über einige Monate doppelseitige Berichte über lokale „Literaturtalente“. Teilnahmebedingung war wohl, dass sie nicht älter als sechzehn sein durften, viele davon sogar erst zwölf oder dreizehn. Damit will ich keineswegs sagen, dass jemand mit zwölf Jahren nicht wunderbare Werke zu Papier zaubern könnte. Klar wird es das geben. Aber ich glaube auch, dass hier potentielle Talente, die vielleicht zu großen Schriftstellern heranreifen könnten, kommerziell verbraten werden, bevor sie je Zeit hatten zum Besten Schreiber zu werden, der sie sein hätten können. Aber was oll ich sagen? Nach den "instant Stars" in der Musik (die in eben dieser Instant auch wieder weg sind) kommen jetzt vielleicht die Schriftsteller dran. Zugegeben, wenn ich an meine frühesten Werke denke, ergebe ich mich manchmal ebenfalls der Fantasie, ich hätte schon mit zwölf an meinem großen Durchbruch gearbeitet. Dann wäre ich „ganz sicher“ mit sechzehn ein internationaler Superstar der Literatur geworden. Aber im Grunde ist es so: Meine verschollenen Werke waren wohl wirklich nicht so herausragend und es wird wohl seinen Grund haben, dass sie verschwunden sind. Endgültig. Jahre sind vergangen. Und ich bin dadurch hoffentlich zu einem besseren Schreibenden geworden, als ich es damals war.
Trotzdem, ein paar der alten Ideen hätte ich gerne wieder.

Wie geht es Euch mit der Sache? Kennt Ihr die Thematik? Habt Ihr vielleicht sogar selber etwas Ähnliches erlebt? Bin wirklich sehr neugierig, ob sich wer traut bzw. Lust hat seine/ihre Meinung kund zu tun!     

3 Kommentare:

  1. Oh ja, das kenn ich. Ich krame einen alten Text hervor und bin entsetzt, wie ich derart üble Nabelschauen verbrechen konnte (Ganz schrecklich sind auch alte Tagebucheintragungen). Andererseits finde ich manchmal auch Perlen. Anfänge von Geschichten, Entwürfe, manchmal nur Sätze und staune dann über längst vergessene, witzige oder originelle Ansätze (z.B. Goethes Goldhamster), die ich niemals weiterverfolgt habe.

    AntwortenLöschen
  2. Das geht allen Kreativen so, gleich in welchem Genre sie arbeiten. Künstler und Werke müssen reifen wie guter Wein. Und das ist gut so. Perfektion wird niemand erreichen, aber man kann ihr verdammt nahe kommen, indem man Stil und Niveau seiner Kreativität diesem Reifungsgrad anpaßt. Man darf mit dem Gestern unzufrieden sein, denn nur dann kann man es morgen besser machen.

    AntwortenLöschen
  3. Das kenne ich nur zu gut. Mir ging es einmal so mit einem Gedicht, welches ich in der 9. Klasse geschrieben habe. Es gefiel mir unglaublich gut, ich hätte es nie aus der Hand geben sollen. Ich kann mich nicht einmal mehr an den Inhalt erinnern, aber dieses Gedicht - das einzige, das ich je geschrieben habe... das war einfach ICH.

    Beim Versuch, verlorenes "wiederzuholen", scheitert man kläglich. All die Dinge, die wie von selbst aufs Papier zu schweben schienen, existieren allenfalls noch als dunkler Schatten in der Erinnerung. Vielleicht ist es auch ein bisschen wie in der Schauspielerei - du weißt, was du im vorigen Take gemacht hast, doch egal was du tust, du bekommst es nie wieder genauso hin.

    Genau wie du bin ich enttäuscht, wenn ich alte Sachen von mir finde.
    Das beschränkt sich keineswegs nur auf Geschichten, auch auf Tagebucheinträge, Fotografien und Zeichnungen. Man hat sich immer pfiffiger in Erinnerung als man tatsächlich war, aber das ist keine schlechte Sache - denn so spornt man sich selbst an, versucht, besser zu werden als man war. Und vielleicht entsteht aus den Erinnerungen an verlorene Geschichten, aus den Erinnerungen daran ja sogar eine neue, schöne Geschichte.

    AntwortenLöschen