Samstag, 2. April 2011

Der Dunkle Brunnen

Woher die Ideen kommen weiß ich eigentlich nicht so recht. Manchmal stellen Menschen mir diese Frage, komisch eigentlich, als ob es einen Unterschied machen würde wo die Ideen her kommen. Vielleicht sind sie aber auch einfach nur neugierig und ich zu misstrauisch. So gesehen kann ich schon sagen, dass sich alles worüber ich schreibe auf einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Begebenheit zurückführen lässt, mehr oder weniger. Aber das ja nicht die Idee, höchstens ein Impuls und meistens ein schwacher noch dazu.
Vor ewig langer Zeit saß ich in einem Bus auf der Fahrt vom Bodensee nach Siebenbürgen in Rumänien, eine geradezu mörderische Busreise und damit meine ich noch nicht mal den Zustand der Straßen ab zirka der ungarischen Grenze. Ich meine die bleierne Langeweile, eingesperrt mit einer ganzen Klasse von Menschen mit denen ich meine Freizeit normalerweise nie verbracht hätte. Meine einzigen Waffen waren ein Notizblock, Stifte und mein CD-Walkman mit genügend Munition für etwa die Hälfte der Strecke, ab dort musste ich musikalisch von vorne anfangen. Soll ich noch erwähnen, dass der Fahrer sich einen Spaß daraus machte in unregelmäßigen Abständen „Coco Jumbo“ von Mr. President zu spielen?  Als gerade Mike Oldfield „Poison Arrows“ spielte kam mir die Idee für eine Geschichte in der ein mysteriöser Jäger scheinbar grundlos Menschen tötet, mit vergifteten Pfeilen. Später stellt sich heraus, dass er gezielt Menschen ausschaltet, die in weiterer Folge für ein schreckliches Ereignis zuständig wären.  Der Kern der Geschichte kam aus dem Lied, alles andere ergab sich dann fast von selbst.
Die Grundidee zur Anhalterin in Schwarz kam mir bei einer Autofahrt mit einem Kollegen von der Universität als wir am Straßenrand im Regen ein junges Mädchen im Gothic-Outfit stehen sahen. Die Grundidee meines Magnum Opus „Alexis“ entstand auf einer Studienfahrt nach Santorin als wir diese riesigen, ausgegrabenen Straßenzüge unter der Vulkanasche besichtigt habe, vor allem die immer noch nicht wirklich entzifferte Schrift Linear A der dortigen Kultur hat mich nicht mehr losgelassen. Da stellte sich mir die Frage was wäre wenn in diesen Ruinen eine Kultur von Magier gelebt hätte die einer großen Katastrophe zum Opfer gefallen sind in deren Verlauf sie sich selbst geopfert hatten um die Welt zu retten.  Am gleichen Ort hatte ich auch die Idee von der Namenlosen mit dem Silberschwert, der Funke dafür war eine Freundin im hellen Sonnenlicht Griechenlands.
Das alles sind aber nur Initialzündungen, sozusagen, woher der Rest kommt.... ich glaube von einem gänzlich anderen Ort. Das lässt sich schwer mit Worten fassen weil man da auch nicht einfach hingehen und sich bedienen kann, zumindest ich nicht, wie das bei den anderen steht ist für mich schwer beurteilbar.
An manchen Tagen, so wie heute, wenn es draußen schon dunkel ist, im Haus seltsame Geräusche durch die Rohre wandern und ich mich frage wie der nächste Tag wohl sein wird, dann ist mir fast so als wäre die Quelle aus der die Ideen kommen ein dunkler Brunnen auf einem weiten Feld, von dichtem Wald umgeben. Jene Welt hier draußen ist unendlich weit von diesem Feld entfernt. Es könnte gut das Feld meiner Seele sein und der Brunnen in Wirklichkeit ein Schacht der hinunterführt an die Orte die ich mir selbst nicht eingestehen will, dort wo das Kind in mir all seine Ängste packte und der Erwachsene am liebsten einen Mühlstein drüber schieben würde, auf dass ja nichts mehr nach oben käme. Das Kind weiß instinktiv, dass der Mühlstein keine gute Idee ist, beinahe so als würde man einen vollständig geschlossenen Kessel, bis oben hin mit Wasser gefühlt, auf eine glühende Herdplatte stellen. Dumm.
Nein, das Kind nutzt die Ängste kreativ, wandelt sie um in Bilder, Reime, erfundene Geschichten und Spiele (bin ja schwerst fasziniert von Himmel-und-Hölle, vor allem in der englischsprachigen Welt wo es oft mit Magpie-Reimen kombiniert wird). Diese dunklen Orte, dort wo die Pilze und Moose der Seele wachsen, vor diesen fürchten wir uns, wagen nicht den kleinesten Anstandsbesuch. Doch manchmal, in Albträumen vielleicht, holen diese Orte ein, sie verschlingen und trieben dir den Angstschweiß auf die Stirn bis du schreiend aus dem Bett hoch fährst. Aber muss das so sein? Ich glaube nicht. Ein Ungeheuer ist ein Ungeheuer weil wir seinen Anblick nicht gewohnt sind, es tut Dinge die wir nicht verstehen und hält sich nicht an die kleinen hübschen Regel die wir im hellen Licht der Sonne auf Post-It-Zetteln an den Kühlschrank unseres Bewusstseins heften. Das Ungeheuer ist rohe Schaffenskraft, die unendlichen Möglichkeiten die das Leben bietet. Schlägt ihm das Leben, unsere Erziehung oder Enttäuschung einen Kopf ab dann wachsen zwei neue nach. Dieses rohe Potential könnte uns zu den Sternen tragen und doch wird es unterdrückt. Warum? Das Ungeheuer bedroht unsere Kultur die auf Anpassung, Unterdrückung von roher Energie beruht. Betrachten wir doch nur die griechische Mythologie die sich in zwei ganz klar abgegrenzten Phasen teilen lässt: Zum einen die wilden, ungezähmten Titanen, Urkräfte die sich durch nichts bändigen ließen, zum anderen die Olympier, die klassischen griechischen Götter, zum größten Teil langweile Spießer die mit ihren Taten immer irgendwo auf dem Niveau von porschefahrenden Männern ende Vierzig mit Midlifecrisis herumtrieben. Die Götter, Sinnbild der geordneten Kultur, beherrscht durch ein klares Rangsystem unter ihres gleichen besiegen die Titanen, sperrten sie Weg in die Tiefen des Tartaros, so wie das Kind das zum Erwachsenen wird all die Ängste in diesen tiefen Brunnen wirft und fortan so tut als hätte es sie nie gegeben. Ohnehin kann uns die Mythologie viel über das Leben an sich lehren. Komischerweise aber nicht die eigene kulturelle Mythologie (oder Religion), da wir dazu neigen diese wörtlich zu nehmen – hierzu hat aber Joseph Campbell weit bessere Worte gefunden als ich das je könnte. Sobald wir aufhören Mythen als symbolische Weisheiten über das Leben und Anleitung für die eigene Menschwerdung zu sehen und beginnen sie als unverfälschtes Wort von wem auch immer zu betrachten werden Tempel und Kirchen von spirituellen Wegweisern durchs Leben zu toten Museen.
Natürlich war an einem gewissen Punkt der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft dieses „Bändigung“ der Bestien beinahe notwendig, nichts stellt für eine Ackerbauern- und Viehzüchterkultur (von der alle modernen Kulturen abstammen) eine größere Gefahr dar als der unberechenbare Individualist, es ist nicht verwunderlich, dass der Schamane (der Inbegriff des Individualisten, des Unangepassten) in jenen ersatzlos gestrichen wurde, verdrängt von einer starren  Priesterkaste die keine geringere Aufgabe hatte und hat als genau diesen Brunnenschacht im Augen zu behalten.
Aber zurück zum Brunnen. Ich glaube er ist, zumindest für mich, die Quelle dessen was ich tue (auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin). Er zieht mich an und macht mir Angst, zu gleichen Teilen. Wenn eine Sternschnuppe aus der Wirklichkeit, irgendein Sinneseindruck, in diese einsame Welt eindringt, dann spiegelt er sich im kalten, schwarzen Wasser des Brunnens wieder. Das ist der Augenblick an dem aus einem Impuls eine Idee wird. Das Wasser reflektiert den Eindruck nie so wie er aus der Wirklichkeit kam sondern es verzerrt ihn, verändert die Konturen, reichert das schwache Licht mit der Fluoreszenz der Tiefe an. Aus der balssen, freundlichen Frau wird ein reuevoller Todesengel, die harmlose Anhalterin lockt dich in ein verlassenes Haus um mit deiner Seele den Raum der Ewigkeit zu befeuern und das Mädchen von der anderen Straßenseite, die Unscheinbare, ist es eigentlich in deren Traum wir alle Leben.
Dann sehe ich dort unten am Grund des Brunnens die alten Ängste tanzen, die Monster und Ungeheuer meiner Kindheit und ich denke mir, dass sie vielleicht gar nicht so schlimm sind sondern einfach nur missverstanden. Ihre Aufgabe könnte gewesen sein uns zu lehren, dass ein bisschen Chaos gar nicht so schlecht ist, ein wenig Unordnung unsere Seele nicht aus der Bahn werfen würde und eine Priese Dunkelheit in unserer lichtverliebten Welt den Dingen mehr Konturen geben würde. Was ist an einem ewig währenden Tag überhaupt so toll?
Wo holst du deine Inspiration her? Gibt es vielleicht irgendwo da drinnen in dir auch einen solchen Brunnen aber auf einer lichtdurchfluteten Wiese? Wenn das so ist würde ich diesen Ort gerne besuchen.

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