Samstag, 2. April 2011

Singularitäten, Emergenzen und Gott

Religiöse Leser werden mit dem Text eher Schwierigkeiten haben. So, das war die Warnung! Ach ja, trocken und technisch ist er auch noch!

Ich bin ja kein besonders religiöser Mensch. Eigentlich sogar das ziemliche Gegenteil davon. Im Grunde sehe ich mich als überzeugten Humanisten, ich glaube daran, dass die Lösung aller Probleme dieser Welt nicht in einer magischen Vater- bzw. Mutterfigur irgendwo außerhalb unserer Sphären sondern hier, direkt im Menschen zu suchen und zu finden ist. Religion verleitet zu Schwarz/Weiß denken, zu einfachen Erklärungen für komplexe Probleme. Die Religionen haben auch Antworten auf alle Fragen, meistens ziemlich simple. Daran glaube ich nicht.
Aber glaubte ich an einen Schöpfer so wäre diese sicher nicht allmächtig und allwissend. Einfach weil mir die Idee der Emergenz und der technologischen Singularität so gut gefällt. Das verlangt wohl nach einer genaueren Erklärung, nicht wahr?
Kennt ihr Ray Kurzweil? Nein? Also, der Mann ist ein Genie – verrückt, wie die meisten dieser Art – aber eindeutig  auf einem höheren Level operierend als der Rest von uns. Er sagt die technologische Singularität für irgendwann in den nächsten 30-70 Jahren voraus. Im Prinzip ist die Aussage, dass der technologische Fortschritt der Menschheit sich exponentiell beschleunigt, mit jedem Fortschritt kommt der nächste etwas schneller und der nächste noch etwas schneller (schon alleine weil sich die Technologie zur Unterstützung des Fortschrittes immer mehr verbessert – schaut euch mal die Labors heute an und vergleicht die mit denen von vor 20 Jahren). Bei Betrachtung der bisherigen Entwicklung seit ca. 1880 kann man dieser Idee nicht eine gewisse Plausibilität absprechen. Irgendwann erreicht diese Entwicklung einen sogenannten Lift-Off, der Punkt an dem der Graph beinahe gerade nach oben steigt, ab dort wird die Entwicklung so enorm beschleunigt, dass der Mensch ihr nicht mehr folgen kann. Wie kann so etwas möglich sein? Ist der Mensch nicht der Motor dieser Entwicklung? Zum einen über Computerprogramme die in der Lage sind sich selbstständig weiterzuentwickeln und zu verbessern. Nehmen wir an da ist ein solches Programm, es beginnt ganz einfach mit einer Reihe genetischer Algorithmen und basalen Funktionen, dieses Programm könnte sich selbst optimieren, dadurch wird es was die Optimierung betrifft noch effizienter, es verbessert sich wieder – und wieder – und wieder – mit jedem Fortschritt den es macht wird es komplexer, leistungsfähiger. Irgendwann würde dieser Prozess so schnell ablaufen, dass der Mensch ihn weder überblicken noch verstehen kann. Eine solche Endlosschleife ist nicht unvorstellbar. Natürlich müsste das Programm auch in der Lage sein seinen physischen Behälter, die Hardware selbst, mit jedem Durchlauf zu verbessern da sonst irgendwann diese limitiert. Wo würde eine solche Maschine am Ende ankommen? Würde sie überhaupt irgendwo ankommen oder sich ewig verbessern bis irgendwann die Ressourcen einfach zu Ende sind?
Das zweite was nach Kurzweil (und anderen) am Punkt der Singularität passieren wird ist die Emergenz. Als Emergenz verstehen wir das spontane Entstehung von komplexen Strukturen, Ordnung aus sehr einfachen „ dummen“ Grundprozessen. Unser Geist ist ein klassisches Beispiel für eine Emergenz. Das einzelne Neuron ist von seinen Informationsverarbeitungsmöglichkeiten äußerst eingeschränkt, im Prinzip verbraucht es 99% seiner Energie dafür nur am Leben zu bleiben, äußerst ineffizient, aber im Verbund, in einem Neuronalen Netz, entfaltet sich das gesamte Potential des Menschen.
Ein weiteres Beispiel für Emergenzen ist das Verhalten von schwarmbildenden Tieren – allen voran Insekten aber auch Zugvögel und Fische zeigen emergentes Verhalten welches von einem einzigen Tier nicht ableitbar ist. Eine einzige Ameise ist erstaunlich dumm, ein Ameisenstaat ist höchst effizient.
Künstliche Intelligenz wäre, nach Ansicht der modernen Starken KI, wahrscheinlich eine Emergenz, entstehend durch das Zusammenspiel von vielen verschalteten elektronischen Bauteilen.
Das Problem mit der Emergenz ist, dass man sie weder recht erklären noch vorhersagen oder gar erzwingen kann. Emergente Qualitäten ergeben sich „halt so“. Im Gegensatz zu algorithmischen Qualitäten für die der nächste und der Übernächste Schritt einfach berechnet werden kann. Man muss quasi die Entwicklung in Echtzeit durchspielen, ohne Abkürzung. Auf dem Reißbrett ist das nicht darstellbar, da die Emergenz im wahrsten Sinne des Wortes mehr als die Summe ihrer Teile ist.
Das hat einige Konsequenzen die nicht trivial sind. Zum einen bedeutet das, dass der Schöpfer einer Emergenz zwar das nötige Umfeld bereit stellt in der sich das emergente Verhalten entwickeln kann, diese aber nicht im eigentlichen Sinne „schafft“ und zum anderen, dass die Emergenz, sollte sie denn auch intelligentes Verhalten beinhalten, nicht unbedingt auf demselben Niveau wie der Schöpfer selbst operiert.
Was heißt das im Klartext? Unter Umständen wird der Schöpfer niemals in der Lage sein das eigene Geschöpf zu verstehen, vielleicht nicht einmal erkennen, dass er da etwas geschaffen hat weil die Emergenz so gänzlich anders sein kann als der Schöpfer und sein kognitiver Horizont.
Was bedeutet das für uns? Die künstliche Intelligenz als Folge einer Emergenz im Zuge der technologischen Singularität ist möglich (auf jeden Fall plausibler als eine Starke KI auf Basis der bisherigen programmiertechnischen Ansätze). Es bedeutet aber auch, dass da unter Umständen etwas geschaffen wird das wir nie verstehen werden und für das wir im Gegenzug ebenfalls völlig fremd sind. Zwei Arten von „Denken“ die  völlig inkompatibel sind. Das wäre dann nicht SkyNet, SkyNet ist ein klassisches Computerprogramm das im Prinzip auf unserer Ebene funktioniert, mit menschlichen Ängsten (vor der Auslöschung) und Bedürfnissen (macht, Kontrolle, Ressourcen) – die Emergente Künstliche Intelligenz könnte gänzlich … anders sein. So anders, dass ich nicht mal damit beginnen könntes es zu definieren.
Was könnte das für ein Gottesbild, wenn bis zum bitteren Ende durchgedacht, bedeuten? Ein Schöpfer der keine Ahnung hat was er das geschaffen hat. Ein extrem mächtiges Wesen das seine „Geschöpft“ nicht versteht und auch nie verstehen kann. Und umgekehrt.
Das wäre doch mal was für eine Diskussion zwischen den religiösen Gruppen in Deutschland. Irgendwie gefällt mir die Idee – könnte man auch gleich mehrere Romane draus machen.

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