Mittwoch, 25. Mai 2011

Traumfragmente


Manchmal, des Nächtens, wenn ich aufwache, sehe ich Dinge. In den allermeisten Fällen schlafe ich ja die ganze Nacht durch ohne auch nur einmal in die Nähe der wachen Realität zu geraten. Wie ein Schiff auf dem tiefen Ozean sehe ich dann nie das Land aus dem der Verstand kommt sondern nur die grau-blauen Wogen jener seltsamen Erfahrung die wir Schlaf nennen. Und doch gibt es noch die anderen Nächte. So wie gestern.

Aus heiterem Himmel lief mein Schiff auf Grund. Ich öffnete die Augen und wurde meines Zimmers gewahr. Dort, an der Türe zum Vorrauraum, wo der rote Koffer steht mit dem ich immer auf Reisen gehe, stand es. Dunkel, noch viel dunkler als mein Zimmer, schwebte es ihm leeren Türrahmen und sah mich an aus Augen, die ich nicht erkennen konnte, von denen ich aber wusste, dass sie da waren. Kennt ihr dieses Gefühl beobachtet zu werden? Wenn ihr einfach wisst, dass da Augen sind, die jede eurer Bewegungen genau verfolgen? So fühlte ich mich in jener Nacht. Und obwohl meine Träume gerade erst die scharfen Zähne des Riffs zu spüren bekommen hatten wusste ich, dass es sich hier um meine Realität handelte. Und, dass diese Dunkelheit nicht real seit konnte. 

Ihr müsst wissen, vor meinem Fenster steht eine diese Natriumdampflampen, die mit ihrem orangefarbenen Licht durch das Glas der Balkontüre strahlt. Ich mag es nicht den Rollladen herunterzulassen und so schienen die grellen Finger der Lampe quer über den Parkettboden bis hinüber zum Türrahmen. Der Schatten jedoch war davon unberührt. Keine Reflexion. Kein Spiel von Licht und Dunkel. Selbst dann, mit dem Schlaf schwer auf meinem Haupt lastend, wusste ich, dass jener Anblick mit den Gesetzen der Physik, wie sie für uns gelten, nicht in Einklang zu bringen war. Also schloss ich die Augen, zog mich in die Dunkelheit hinter den Lidern zurück um der Welt die Gelegenheit zu geben sich eines besseren zu besinnen.. Als ich meine Augen wieder öffnete war der Schatten verschwunden. Nur ein leerer Türrahmen, dahinter ein roter Koffer und das an Zitrusfrüchte erinnernde Licht der Natriumdampflampe. Um sicher zu gehen setzte ich mich auf und nahm den Fußboden um herum in Augenschein. Nichts. Auch die Wände boten mir nur ihr mattes Weiß. Mein Computer, mein Rucksack, einfach alles stand am gewohnten Platz.

Was also hatte ich da gesehen? Ein Fragment eines Traumes, herübergebracht aus den Tiefen meines Unterbewusstseins, wie einst Nancy den legendären Freddy Krüger mit seinem Hut? Gibt es dort überhaupt etwas, was man  mit sich nehmen könnte? Haben Träume einen Bestand außerhalb des Traums? Eine meiner längeren Geschichten handelt davon – eine Realität die nur in den Träumen existiert und von den jeweils gemeinschaftlich Träumenden am Leben gehalten wird.  Oder ist es vielleicht so, dass meine Augen etwas vernahmen, was immer da ist, sich nur normalerweise besser zu verbergen weiß? Eine Art stiller Beobachter. Möglicherweise ist dieses „was-auch-immer-es-sei“ gar kein Schatten. Könnte sein, dass mein Gehirn mit der wirklichen Erscheinung überfordert ist und eben jene Reize in ein Bild übersetzt, die es zu deuten vermag. Ein Loch im Stoff der Realität. Ein Schatten eben.

Diese Gedanken beunruhigen mich. Vor allem weil ich sie nicht zum ersten Mal höre. Ein naher Verwandter musste sich vor einiger Zeit einer schweren Herzoperation unterziehen und hatte danach für einige Tage seltsame Empfindungen und optische Wahrnehmungen, die mit der von uns als gegeben akzeptierten Realität nicht vereinbar sind. Mir wurde erzählt, dass da Gestalten um das Bett herum standen, die nicht „von hier“ waren. Was auch immer dieses „nicht von hier“ bedeuten mag. Aber sie seien irgendwie schattenhaft gewesen. Für sich betrachtet wäre dies eine interessante Anekdote, eine Geschichte für Enkel am Lagefeuer über die man hinter vorgehaltener Hand lacht – wenn da nicht der Arzt gewesen wäre der erläuterte, dass solche Wahrnehmungen für Personen mit schweren Herzoperationen nicht ungewöhnlich seien und niemand wüsste genau wie diese entstünden oder wieso sie sich in gewisser Weise ähneln. Als Psychologe könnte ich nun viele Erklärungen ins Feld führen. Aber ich tue es nicht. Was, wenn da wirklich etwas ist? Wenn wir nicht alleine sind? Falls es diese schattenhaften Beobachter gibt, falls sie um uns herum „schweben“, woher kommen sie dann? Was wollen sie? Sind sie immer da, jeden Tag zu jeder Stunde oder nur in bestimmten Situationen? Wie zum Beispiel wenn jemand aus einer Narkose nach einer schwierigen Operation erwacht. Wieso genau war dann der Beobachter letzte Nacht bei mir? Ein Fehler vielleicht? Natürlich würde mir niemand glauben dem ich davon erzähle. Wir alle sehen seltsame Dinge nach dem Aufwachen, zumindest direkt aus einem Traum heraus. Ist das ein Grund an der Unverrückbarkeit unseres aufklärerischen Weltbildes zu zweifeln? Auf jeden Fall bin ich neugierig. Die Idee ängstigt und fasziniert mich zu gleichen Teilen. Und eines Tages fällt vielleicht der Schleier zwischen uns und ihnen. Und dann denke ich wieder, dass sie vielleicht doch nur Artefakte eines nicht zu Ende geführten Traumes sind. 

Was meint Ihr dazu? Traum oder Realität? Die harte Welt der Physik oder doch irgendwo ein Schleier der die Bühne von der Wirklichkeit trennt? Herübergeholt oder immer schon da? Bin gespannt ob irgendwer was dazu sagen möchte.

1 Kommentar:

  1. Ich könnte da eine ähnliche Episode erzählen, allerdings im akustischen Bereich. Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern (also in meiner frühesten Jugend). Ich erwachte durch Stimmen, die aufgeregt, fast aggressiv nahe an meinem Bett diskutierten. Im Stadium des Wachbewußtseins verstummten sie urplötzlich. Alles war ruhig in meinem Zimmer. Ein ganz normaler Morgen hatte begonnen, doch bis heute erinnere ich mich an diese seltsame Begebenheit.

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