Willkommen zum zweiten Teil dieses Special Feature „Hinter den Kulissen“ zu meinem Roman „Die Katze und das Projekt Omega“. Den ersten Teil kann man ebenfalls in diesem Blog finden unter "Hinter den Kulissen" Teil I In diesem Segment möchte ich ein wenig über die Entstehungsgeschichte des Buches sprechen.
Die vielleicht wichtigste Information hierzu ist, dass „Die Katze“ nicht innerhalb einer kurzen, klar abgesteckten Zeit ausgedacht und aufgeschrieben worden ist. Ganz im Gegenteil. Die ersten Ideen, kleine Schnippsel und Fünkchen von Ahnungen, manifestierten sich schon vor einigen Jahren, als ich noch mit ganz anderen literarischen Projekten beschäftigt war. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ausgerechnet „Die Katze“ mein Debutwerk als Romanschriftsteller werden würde. Noch vor einem Jahr hätte ich gewettet, dass mein knapp 1000-Seiten Manuskript „Die Brennende Stadt“ das Rennen machen würde. Aber wie sagt man so schön? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!
Aber fangen wir doch einfach mal dort an, wo alles begann, im Ursprung. Das erste Kapitel der Katze „Der Verlorene“ ist tatsächlich auch der Ursprung der Idee gewesen. Ich finde dieses Bild unglaublich mächtig, wie Anthony alleine, heruntergekommen, mitten in der Nacht auf diesem verwaisten Parkplatz des Baumarktes steht und in die in gelbliches Licht getauchte Nacht starrt, den Wolken seines eigenen Zigarettenrauches folgend und sich fragt, wofür dies alles gut sein soll. Diese eine Szene, mit all ihrer in Müll getränkten Melancholie, sagt alles über Anthony, was man wissen muss. Er steht abseits der Gesellschaft, die Sonne scheint für ihn nicht und alles was er sieht, sind die Überreste des Tages, die Überbleibsel eines Lebens, das er hinter sich ließ. Und obwohl er sich selber klarzumachen versucht, dass es so sein soll, dass er hierher gehört, schwingt der Wunsch mit, wieder auf die andere Seite zu wechseln. Ich hoffe, dass der Leser diesen Subtext spürt.
Ich wurde schon gefragt, inwiefern ich mich mit Anthony identifiziere, diesem „Anti-Helden“ (ich mag das Wort nicht besonders), der, keine 20 mehr, vom Leben völlig enttäuscht zu sein scheint. Meistens wird diese Frage mit einem leicht mitleidigen Blick gestellt, so als wäre Anthony meine eigene, ganz persönliche Beichte an die Welt.
Hier muss ich meine Leser leider enttäuschen: Ich bin weder Anthony noch „wie Anthony“. Diese Gestalt ist eine Kunstfigur, die aus einem ganz bestimmten Gefühl entstand. Seltsam, dass ich manchmal nicht mehr weiß, was ich gestern zum Frühstück hatte aber meistens noch ganz genau sagen kann wo und wann mir eine ganz bestimmte Idee zu einer Szene oder einem Charakter zugeflogen kam. Anthony erschien mir auf einem Rastplatz an einer Straße irgendwo über der ungarischen Grenze drüber, auf dem Weg nach Rumänien. Es war Nacht und wir waren schon seit vielen, vielen Stunden unterwegs (wahrscheinlich mehr als neun). Die meisten Leute, alles Klassenkameraden von mir, saßen im Bus und schliefen. Nur wenige nutzen die Gelegenheit um sich die Beine zu vertreten, die Toilette zu nutzen und/oder eine Zigarette zu rauchen. Ich kann mich daran erinnern, dass der Rastplatz nicht viel mehr als eine asphaltierte Ausbuchtung der Straße war, eine Insel hinter der ein Abhang in eine flache Talsenke hinunter führte. Laternen spendeten etwas Licht, aber nicht das gewöhnliche, weiße Licht sondern dieses dumpfe Orange von Natriumdampflampen. Noch heute kann ich es deutlich sehen und er scheint auch oft in meinen Kurzgeschichten. Warum es mich so fasziniert? Ich vermag es nicht zu sagen und doch gibt es der Welt eine gewisse Art von Schärfe, eine Tiefe mit Kontrasten, die im üblichen Spektrum der Farben einfach verschwimmen. Man hat mir einmal gesagt, genau deshalb wird dieses Licht auf Straßen manchmal verwendet. Im Gegenzug dafür verschluckt es die meisten Farben.
Ich stand also auf dieser Asphaltfläche, beinahe alleine. Wenn mich jemand angeredet hat kann ich mich zumindest nicht mehr daran erinnern. Und als ich über die Talsenke blickte überkam mich ein Gefühl der Fremde und Einsamkeit. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich fern von daheim war und es keine Möglichkeit für mich gab zu wissen, was da draußen auf mich wartete. Das sind so die Momenten an denen ich zumindest über die Welt und das Leben nachdenke. Nicht sehr kohärent. Nicht für sehr lange. Aber doch. Und da erschien mir das Bild von Anthony. Der Rastplatz wurde zu einem gigantischen Parkplatz, das Tal zu einem monolithischen Klotz aus Beton und Glas – der Baumarkt. Die Details, wie zum Beispiel die leeren Verpackungen einer Fastfood Kette und das, wie eine tote Qualle auf dem Boden liegende Kondom, waren freundlicherweise schon da und komplettierten den Eindruck. Es ein Bild, wie es sich wohl dem letzten Überlebenden einer untergegangenen Zivilisation geboten hätte.
Als hilfreich erwies sich auch, dass ich den passenden Soundtrack dabei hatte, nämlich „Discovery“ von Mike Oldfield und es lief gerade „Poison Arrows“, ein Song dem ich auch eine zweite Idee zu verdanken habe, die allerdings immer noch in einer Mappe mit handgeschriebenen Notizen schlummert. Ja, auf dieser Fahrt kam einiges an Material zusammen. Was die CD von Herrn Oldfield betrifft so kann ich sie nur jedem wärmstens empfehlen – die Lieder entfalten ihre Wirkung am besten bei Nacht, in der Einsamkeit und bilden den perfekten Soundtrack für den Blick in die Tiefe.
So war also Anthony geboren und sein Name schien irgendwo gleich mitgeliefert worden zu sein. Zumindest könnte ich mich nicht daran erinnern, dass je ein Zweifel diesbezüglich bestanden hätte.
Ursprünglich war da natürlich keine Katze. Nur diese Szene und ein Gefühl. Ich ließ Anthony noch eine Weile durch die heruntergekommene Stadt stapfen, eher er zu Hause bei sich ankam um dem Leser seine bemitleidenswerten Wohnumstände vor Augen zu führen. Vielleicht war der Charakter in der ursprünglichen Version etwas trotziger, stolzer. Da war mehr von dem Gefühl, dass Anthony in diesen Zuständen lebte, weil er den Erwartungen andere nicht mehr gerecht werden wollte. Eine Art Flucht. In diesem Punkt hat sich der Protagonist im Laufe der Überarbeitungen sehr verändert. Und Überarbeitungen hat es viele gegeben. Ursprünglich war das Ganze als Kurzgeschichte mit einem Umfang von 10-20 Seiten geplant – eine Charakterstudie. Die Katze kam ein wenig später, kurz nachdem die Idee zur brennenden Stadt geboren war, ein Fantasy Roman in dem die Katzen eine ganz zentrale Rolle und Symbolik übernehmen. Von dort kam diese eine Katze sozusagen herüber und lud sich selbst zu einer Hauptrolle ein.
Kennt das wer? Dass Geschichten aus unerfindlichen Gründen ineinander übergehen, Verknüpfungen weben mit denen man als Schreiber selber nie gerechnet hätte? Mir passiert das recht oft und wer „Die Brennende Stadt“ liest einige dieser Überschneidungen erkennen. Aber an diese Stelle möchte ich auf keinen Fall mehr spoilern.
Nachdem die Figur der Katze sich in die Geschichte geschlichen hatte, wuchs der ursprüngliche Text auf recht beachtliche 50 Seiten an, mit denen ich nicht wusste was anzufangen. Schließlich befand ich mich ja mitten in einem Romanprojekt. Zu diesen fertig geschriebenen Ideen lagen noch mehrere handgeschriebene Notizen in meinem Schreibtisch, das meiste davon Ideen für mögliche Enden – aber keines davon konkret genug um logisch vom Anfang auf dieser überleiten zu können, ohne extrem viel Energie hineinzustecken, was mich von meinem anderen Projekt nur abgelenkt hätte. Da begann ich mit einer Überarbeitung und fügte die schon vorhandenen Kapitel in ein bestehendes Werk ein. Manchmal geht so etwas gut. Manchmal nicht. Und dann, wie in diesem Fall, ist es irgendwo dazwischen und man kann selber nicht sagen, ob es gut oder schlecht war. So blieb es auch eine Weile und die weiteren Kapitel zur Katze wurden jenem anderen Werk angegliedert.
Dann kam jener Moment vor knapp acht Monaten, als mir, mit Hilfe einer guten Freundin, klar wurde, dass ich jetzt endlich mal eines meiner größeren Werke veröffentlichen sollte (drei Kurzgeschichten hatte ich schon mit Zusagen in Anthologien untergebracht). Anthony und sein einsamer Moment auf dem Parkplatz hatte ich nie vergessen und so begann ich die einzelnen Kapitel zu lesen. Was ich sah gefiel mir, auch wenn es viel zu wenig für einen kompletten Roman war. Also setze ich mich hin und begann ein Inhaltsverzeichnis zu schreiben. Kapitel für Kapitel. Jeweils mit der Hauptidee, worum es gehen sollte, den Handelnden und möglichen Konsequenzen. Insgesamt kam ich auf 13 Kapitel – plus dem Schluss, den ich auf Basis meiner alten Aufzeichnungen erarbeitete. Natürlich hatte sich in der Zwischenzeit viel bei mir getan. Neue Ideen, Horizonte und Erwartungen an ein Buch. Es blieb mir nichts übrig als jedes einzelne Kapitel durchzugehen, umzuschreiben und in Form zu bringen. Nicht wenig Zeit verbrachte ich damit lose Enden zu entfernen, neue Handlungsstränge einzufügen und auch sonst in den Kern der Geschichte einzugreifen. Doch der schwierigste Teil war, komplett neue Kapitel zu sachreiben. Zuerst musste die schlafenden Handlung in meinem Kopf wieder erwachen. Und wie sie erwachte. Nicht mit einem Seufzer sondern mit einem Brüllen. Schlussendlich bestand die Herausforderung darin mich kurzzufassen. Ich neige zu einem etwas schwülstigen, ausufernden Stil, geprägt von endlosen Sätzen und noch mehr Adjektiven. Da musste ich mich zusammenreißen, denn was den Deutschlehrer beindruckt, sorgt bei Lektoren in der Regel für den Drang das Manuskript in den Müll zu werfen.
Es dauerte viele, viele Überarbeitungsschritte das Inhaltsverzeichnis zu finalisieren. Immer wieder mussten Kapitel verschoben werden, teilweise war es auch notwendig neue Kapitel zu schreiben um Übergänge und Nebenhandlungen sauberer abzuwickeln. Gerade auf den letzten 50 Seiten hat sich sehr viel getan – denn auch der beste Plan kann einen Schreiberling nicht darauf vorbereiten, dass die Geschichte sich am Ende immer selber schreibt. Gerade die Dynamik zwischen Anthony und Miranda hat sich sehr verselbstständig und am Schluss schrieb ich es so, wie es die Protagonisten von mir wollen und nicht umgekehrt.
Im Prinzip habe ich mit der folgenden Kapitelordnung begonnen:
Kapitel 1: Der Verlorene
Kapitel 2: Die Verfolgte
Kapitel 3: Die Verfolger
Kapitel 4: Ungebetene Gäste
Kapitel 5: Nachtangriff
Kapitel 6: Preis des Versagens
Kapitel 7: Wer schlafende Hunde weckt
Kapitel 8: Die Zuflucht
Kapitel 9: Die Tafeln
Kapitel 10: Die Wahrheit
Kapitel 11: Zweifel
Kapitel 12: Auf der Spur
Kapitel 13: Krisis
Die finale Kapitelfolge der ersten 13 Kapitel lautete dann:
Kapitel 1: Der Verlorene
Kapitel 2: Die Verfolgte
Kapitel 3: Die Verfolger
Kapitel 4: Ungebetene Gäste
Kapitel 5: Nachtangriff
Kapitel 6: Preis des Versagens
Kapitel 7: Gefangen
Kapitel 8: Wer schlafende Hunde weckt
Kapitel 9: Die Zuflucht
Kapitel 10: Außer Kontrolle
Kapitel 11: In der Tiefe
Kapitel 12: Die Tafeln
Kapitel 13: Die Wahrheit
Bei den ersten 6 Kapiteln bestand keine Frage, sie folgten einem klaren Ablauf und konnten so bestehen bleiben. Kapitel 7 hingegen musste neu geschrieben werden und existierte vorher in keiner Form, weder so noch anders. Der Anstoß kam wieder von einer guten Freundin, die meinte, dass hier eine zusätzliche Szenen dem Verständnis der Geschehnisse im Hintergrund zuträglich wären. Außerdem können zusätzliche Szene mit Telar nie schaden. Dadurch wurde „Die Zuflucht“ zu Kapitel 9.
Danach stellte ich fest, dass gerade die Ereignisse in der unterirdischen Anlage des Militärs nicht so recht flossen. Schlüsselszenen folgten viel zu schnell aufeinander, die Motive der Handelnden entwickelten sich in einer Geschwindigkeit, die nicht mehr nachvollziehbar zu sein schien. Als Schreibender vergisst man schnell, dass potentielle Leser nicht die Fülle an Informationen haben über die man selber verfügt. Ich kenne die Hintergründe jeder Handlung, sitze im Neokortex meiner Kreaturen. Also wurde das Kapitel „Die Tafeln“ geteilt in „Außer Kontrolle“ und „Die Tafeln“. Das verschaffte den Protagonisten mehr Zeit auf die Situation zu reagieren. Die Kapitel „Zweifel“ und „Auf der Spur“ wurden sehr viel weiter hinein verschoben, da ich den dort geschilderten Ereignissen mehr Vorlauf gönnen wollte. An deren Stelle rückte ein völlig neues Kapitel mit dem Titel „In der Tiefe“ um der Katze und Telars Machenschaften noch mehr Platz auf der Bühne der Geschehnisse einzuräumen. Generell war es im ursprünglichen Konzept so, dass dieser geheimnisvolle Mann viel weniger auftrat, seine Motive wesentlich mehr im Dunkeln blieben. Jedoch schon die ersten Probeleser (allesamt Freunde, die mich bestärkten dieses Buch zu vollenden) meldeten zurück, dass sie mehr von Telar sehen wollten.
Bei allem was ich schreibe habe ich festgestellt, dass die Geschichte mit dem Schrieben wächst. Vielleicht gibt es Schriftsteller, die, wie einst Paul McCartney bei Yesterday, mit dem fertigen Werk im Kopf aufwachen und nur mehr die Melodie in Stein meißeln müssen. Bei mir war das fast nie der Fall (außer bei einer Kurzgeschichte: „Der Dunkle Fluss“, die man übrigens in der Anthologie „Styx – Fluss der Toten“ aus dem LUZIFER-Verlag nachlesen kann – bei der stand ich wirklich, und da ist jetzt kein Scherz, an einer Straßenkreuzung, sah einen alten Mann auf einem Fahrrad und die gesamte Geschichte war da, einfach so). Meine Geschichten wachsen, reifen und gehen ihren eigenen Weg.
Ich denke das waren jetzt genug Informationen für diese Ausgabe von „Hinter den Kulissen“. Mehr dazu und zu den anderen Charakteren, wie zum Beispiel Miranda und ihrer Entstehungsgeschichte, gibt es in Teil III. Bis dann!
Ich bin schon sehr gespannt auf das Buch. Und ich finde es klasse, dass du hier so viel über die Entstehung schreibst.
AntwortenLöschenVielen Dank - ich hoffe mal, dass diese Texte dem Verständnis des Werkes zuträglich sind :) Stellt aber auch eine gewisse Gratwanderung dar - darf ja nicht zuviel verraten! Bin schon sehr gespannt darauf, was Du von dem Buch hältst, wenn Du es erst mal gelesen hast :)
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