Samstag, 2. April 2011

Dualität oder Weltbilder

Wieder einer meiner Beiträge zum Thema "@GoShoo erklärt die Welt und liegt dabei völlig falsch". Wie immer komme ich dabei vom Hundertsten ins Tausendste und springe quer über verschiedene Wissensgebiete. Wer an doe Absolutheit von irgendwas glaubt sollte jetzt besser dieses Fenster schließen und ein beruhigendes Buch seiner Wahl zur Hand nehmen. Alle anderen eigentlich auch. Allen die noch da sind wünsche ich viel Vernügen und sage wie immer: Kommentare erwünscht!

Das Problem an Kultur ist, dass die Person die bis über beide Ohren drinnen steckt sich so gut wie gar nicht vorstellen kann, dass es auch andere Lösungen und Ansätze geben könnte als jene mit der sie aufgewachsen ist, der Blick dafür, dass so simple Dinge wie Wahrnehmung und Organisation der Umwelt eigentlich Konstrukte sind, die kulturell ausgehandelt und geschaffen werden, geht verloren oder wird gar nicht erst entwickelt.
Wir, also ich und die meisten Leser dieser Zeilen wohl auch, stammen aus einer Kultur welche die Dualität quasi zum höchsten Prinzip erhoben hat. Wir sehen die Pole überall, an unserem eigenen Planeten mit Nord- und Südpol, in unseren Geschlechtern, in den vorherrschenden Moralvorstellung, in der Rechtsprechung, dieses A gegen B, Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse, Feuer gegen Wasser, Papier gegen Stein ist ein konstantes Thema. Die dominante Religion in diesen bereiten, das Christentum in all seinen Spielarten, legt diese Art der Weltsicht ja wunderbar vor, da oben ist der gütige Gott, da unten der zürnende Teufel, Himmel und Hölle, zwei gegensätzliche Pole die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dabei hat das Christentum einen gewissen Erklärungsnotstand, denn die Dualität von Gott und Teufel, Gut und Böse hat einen fatalen Haken – ein Pol sollte eigentlich übermächtig sein, nämlich der an dem Gott steht. Woher kommt also all das Böse? Die Kirchenväter haben über die Jahrhunderte hinweg das gemacht, was man in der Softwareindustrie als „Patching“ bezeichnen würde, sie haben kleine Erklärungshappen nachgereicht um die Dualität irgendwie zu rechtfertigen ohne Gott von seinem himmlischen Thron zu stoßen. Das Judentum brauchte das nie, einfach weil der jüdische Gott Jahwe beide Pole in sich vereinigt, rachsüchtiger Gott, guter Gott, zornig und Eifersucht, alles in einem Schöpfergott vereinigt, erst das Christentum mit der immer  stärker werdenden Betonung eines „guten“ Gottes brauchte einen immer stärker werdenden Widersache, einfach aus einer Erklärungsnot heraus.  Aber versuch das mal einem Christen zu erklären, der wird sich extrem schwer tun über einen  Gott auch nur nachzudenken, der alle Pole in sich vereinigt. Liegt möglicherweise auch daran, dass ein solcher Gott „menschlicher“ wird in seinen Motiven und Handlungen – und da sind wir dann schon gefährlich nahe an der Entlarvung dessen was alle Götter in Wirklichkeit sind.
Wir Menschen sind aber von Natur aus keine Wesen die in einer reinen Dualität existieren können. Jeder Mann hat weibliche Anteile, jede Frau männliche. Wer verschiedene, mit sich in Konflikt stehende Emotionen nicht integrieren kann, also sie als Teil seiner selbst und eben nicht als Bedrohung annehmen kann wird psychisch krank. Wem dies beim Bild, das er von anderen hat, ebenfalls nicht geling wird auch krank. Es entwickeln sich dann interessante Störungen in denen die extreme Idealisierung des anderen schnell in eine ebenso extreme Abwertung überschlägt, eben weil es nicht mehr möglich ist das Gegenüber als komplexe, integrierte Persönlichkeit mit Anteilen aller emotionaler Zustände zu sehen, es geht nur noch entweder völlig Gut oder abgrundtief Schlecht. Gott und er Teufel sind zwei solche Extreme, zumindest im Christentum.
Beinahe alle Glaubenssysteme die vorwiegend mit irgendeiner Art von Innenschau befasst sind werfen diese Dualität an einem bestimmten Punkt ab und beginnen die Integration von allem anzustreben. Sollte aus den eben genannten Gründe klar sein, denn ins uns existiert diese Dualität nicht. Wenn ich mich in diesem speziellen Augenblick betrachte, dann geht es mir aus bestimmten Gründen ziemlich schlecht aber gleichzeitig gibt es genug über das ich froh bin und was mich eigentlich auch recht zufrieden macht. Ich glaube es ist wichtig das zu erkennen und das persönliche Weltbild anzupassen.
Natürlich sind Dualitäten einfach, sie geben eine gut verständliche Struktur für die Welt vor. Wer in den 80er aufgewachsen ist wird sich erinnern wie beruhigend es war zu wissen wer die Guten und wer die bösen Jungs sind, bei wem man ohne schlechtes Gewissen jubeln durfte wenn er atomisiert wurde und bei wem bittere Rache zu schwören war. Außerdem sind diese Gegensätze als Lehrstücke immer recht amüsant und hilfreich. In diesem Zusammenhang spreche ich immer gerne von den Jedi-Rittern und Obi-Wans Ausspruch in Episode III, dass nur ein Sith nichts als Absolute kennt. Krieg oder Frieden, meine Seite oder deine Seite, Liebe oder Hass. So einfach ist das nicht und so einfach sollte es auch nicht sein. Wer in Absoluten denkt glaubt die einzige Wahrheit zu besitzen und hat damit die oberste moralische Autorität, ja sogar die Verpflichtung, alles zu unternehmen, um diese Sicht zu verbreiten.  Wohin das führt sehen wir jeden Tag. Krieg, Hungernöte, Korruption, Zerstörung der Umwelt, menschliches und tierisches Leid an allen Ecken und Enden. Das ist vielleicht Zoroasters Erbe, der die Dualität von Gut und Böse in die heute bekannten Religionen brachte (wenn sich etwas ziemlich gut nachverfolgen lässt, dann welche Religion von welcher älteren beeinflusst wurde) – aber realistisch betrachtet kommt es wohl einfach nur dem menschlichen Bedürfnis nach einfachen Erklärungen entgegen.
Gibt es einen Ausweg? Ich weiß es nicht, zumindest nicht was uns betrifft. Dass andere Kulturen mit der Integration der Pole besser umgehen konnten ist bekannt, vor allem sehr naturnahe Gruppen haben mit dem ständigen Wechsel von Jäger-Gejagter und der Natur sowohl als Ernährerin als auch als größte Gefahr für Leib und Leben, hervorragende Beispiel dafür, wie eine Sache beide Extreme in sich vereinigen kann. Wir hingegen leben vorwiegend in einer de-naturierten Welt, haben sie wiederum in „gute“ Natur (also jene im Park, wohlgeformt, kontrolliert, gezähmt) und „böse“ Natur (wild, gefährlich, mit Warnschildern versehen, da geht man nur mit der nötigen Schutzausrüstung hin) aufgeteilt. So spiegeln wir quasi unsere innere Vorstellung davon, wie die Welt sein sollte nach außen ordnen sie um. Ein Beispielloses Unterfangen und erschreckend effektiv. Aber eigentlich fehlen uns auch die Vorbilder, jene die uns führen auf den Pfaden zwischen den Polen und so sitzen wir wie verängstigte Kinder deren Eltern das Haus verlassen haben und einfach nie zurückgekommen sind auf der Seite von Schwarz oder Weiß auf die uns das Leben geworfen hat. Fernsehen und Bücher können das Trauma mildern aber gut wird es deshalb noch lange nicht.
Es war immer schon die Funktion des Schamanen zwischen den Polen zu wandeln denn, und da dürfen wir uns auch nichts vormachen, dieses Vorhaben ist auch gefährlich. Wer zu viel Chaotisches in sich zu integrieren sucht kann verloren gehen. Die oberste Funktion des Schamanen war es nun diese Pfade zu wandeln, die letzte Dualität, Diesseits und Welt der Geister/Ahnen/Totemtiere, zu überwinden. Schamanen haben Macht, das wird jeder bestätigen der schon einmal neben einem dieser imposanten Menschen gestanden hat. Jener der am Rande der bekannten Welt operiert muss hart und stark werden. Wir scheuen diesen Weg, diese Grenzlinien, den Waldrand immer mehr, weshalb wir auch keine Schamanen mehr haben, ihnen fehlt der Nährboden, die Tradition. Wie viele große spirituelle Führer haben wir in den letzten 60 Jahren mit Psychopharmaka ruhig gestellt? Noch gibt es Künstler die so etwas wie eine Erinnerung an jene mit mächtigen Zaubern gegürteten Geistführer längst vergangener Tage sind. Manche davon, etwas Robert Frost oder Sylvia Plath vermögen ganze Generationen zu führen aber ich habe das Gefühl auch von diesen gibt es mit jedem Jahrzehnt weniger. Vielleicht sollen wir mal wieder zu den Innuits reisen, zu jenen die noch fern der Zivilisation leben, dort wo die Widersprüche der Natur aufeinanderprallen, wo die bizarre Schönheit der Eislandschaft mit der Grausamkeit des Jagens und des Tötens noch eins sind, Leben und Tod Hand in Hand gehen und nicht eines zum Jugendwahn hochstilisiert und das andere hinter dicken Mauern versteckt wird. Das ist ja auch so eine Dualität – Leben und Tod.  Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.

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