Sonntag, 3. April 2011

Feuermotten

Geh‘ mit dir über die alte Brücke am See, jene die den kleinen, ausgebaggerten Hafen für die Fischer überquert. Kannst du das Holz sehen? Es ist alt und wirkt morsch, aber im Inneren ist es fest wie Stahl, würde hundert Menschen aushalten, auch wenn schon lange nicht mehr so viele zur gleichen Zeit hierher kommen. Das Wasser riecht an Tagen wie heute irgendwie seltsam, nach Seetang und Wind, Regen und Sturm, aber nicht unangenehm. Vertraut, so als würde sich die Flüssigkeit  in meinen Zellen an seine Herkunft erinnern, vielleicht sogar mit Sehnsucht. Wenn du tief einatmest kannst du fühlen wie sich dein Verstand ausbreitet, für einen Moment über dich selbst hinauswächst. Ein bisschen ein Schwindelgefühl aber gut.
Da hinten führt ein Weg am wild verwachsenen Ufer entlang. Im Schilf raschelt das Leben, davor musst du dich wirklich nicht fürchten, alles was dich erlegen könnte würdest du nie kommen hören. Keine Angst, das war ein Scherz. Links und rechts salutieren uns die Bäume, hohe, edle Geschöpfe die das Leben in langen Jahren studieren, den Wanderern lauschen und die Worte der Liebenden enträtseln. Wenn sie könnten würde sie Geschichten erzählen. Diese Allee ist voller Erinnerungen.
Der Wind ist normal, er zieht jede Nacht vom See heran um mit uns zu sprechen. Verspielt flüstert er dir ins Ohr. Wehr dich nicht dagegen, hör ihm lieber zu. Er sagt uns, dass wir auf dem richtigen Wege, dass das Ziel nicht mehr weit und die Mühen die Anstrengungen mehr als wert sind. Du solltest wirklich einmal kurz vor Morgengrauen hier sein, manchmal  kann man die Stimmen der ertrunkenen Fischer im Wind hören. Sie erzählen dir dann von den Orten an denen sie gewesen sind und an die sie noch gehen werden. Auch davor brauchst du dich nicht zu fürchten, die Toten sehen weit aber ihre Körper haben sie längst zurückgelassen.
Wir sind beinahe da, kannst du es sehen? Ich wollte dir den alten Mann dort drüber auf der Wiese bei dem knorrigen Baum zeigen. Ist schon ein komischer Baum, sein Stamm von oben her bis eine Menschengröße über den Boden gespalten, als hätte der Blitz ihn vor langer Zeit verwundet aber er zu stur um daran zu sterben. Jetzt ist es als wüchsen zwei Baume aus dem einen Stamm. Schau ihn dir ruhig genauer an. Die Äste hängen weit über die Wiese hinaus, wie die Arme eines Kraken der die Welt verschlingen will. Nein, der Vergleich stimmt nicht. Wie die Arme einer Mutter die das Kind beschützen wollen.
Aber zurück zu dem Mann den ich dir zeigen wollte. Da steht er, mit der alten, ausgefransten Jacke in undefinierbarer Farbe. Ihm muss wohl kalt sein, denn er trägt immer eine Wollmütze, tief über die Stirn heruntergezogen. Lass dich nicht von dem Feuer vor ihm verunsichern. Ja, da brennt Laub, ich kann es auch riechen. Der Mann hält es am Leben, mit einem alten, rostigen Laubrechen schiebt er immerzu neue Blätter in die Glut. Wir könnten einen ganzen Tag hier stehen und er täte doch nie etwas anderes.
Das war nett von dir aber ihn zu grüßen hat keinen Sinn, er antwortet nie. Halte den Alten deswegen nicht für unfreundlich, wahrscheinlich sieht er uns gar nicht. Wir sind nur Besucher in seiner Welt und dabei nicht einmal geladen.
Schau in die Flammen. Sind sie nicht wunderschön? So Rot als bestünden sie aus lebendigem, tanzendem Blut.  Immer wieder formen sie neue Figuren, im Tanz miteinander, eng umschlungen nur um sich doch wieder zu lösen, aufzulösen. Keine zwei Augenblicke ist diese tosende Gewalt sich gleich. Komm näher, etwas tiefer drinnen im Flammenmeer siehst du die Glut, die Quelle des Schauspiels, sie hält der alte Mann am kochen, sie ist seine Lebensaufgabe. Ich sehe es Dir an den Augen an, du hast es bemerkt. Die Glut steht nicht still, sie pulsiert, vibriert, wie Adern oder ein Herz, man kann es beinahe klopfen hören. Kleine Funken steigen aus dem Rot empor, sie leuchten hell, heller als Sterne. Es müssen tausende sein, so viele, dass es kaum möglich ist einem einzigen zu folgen. Nein, streck‘ deine Hand nicht aus. Die Funken sind glühend heiß, so schön sie anzuschauen sind, so sehr würden sie dich bei nur einer einzigen Berührung schmerzen.
Gehen wir doch ein paar Schritte zurück, dann kannst du besser sehen. Das Feuer brennt jetzt lichterloh. Ob sich der Mann wohl für uns besondere Mühe gibt? Aus der Glut steigen sie auf, die Funken, helle Glühwürmchen aus Licht. Achte auf den Übergang zwischen dem Feuer und der Luft, dort wo es knistert vor Hitze. Die Funken verlassen ihre Wiege, steigen auf, getragen von der Wärme des Schoßes der sie gebar. Dort draußen veränder sie ihre Farbe. Nicht mehr als weiße Sonnen steigen sie hinaus in die Welt, nein, glühende Feuermotten sind sie geworden. Immer höher steigen sie und wie ein Spiegelbild der Flammen tanzen sie miteinander, manchmal eng, manchmal weit. Bald ist der Himmel über uns mit ihnen übersät, Feuermotten wohin das Auge blickt. Sind sie nicht wunderschön? Versuch erst gar nicht ihnen allen Namen zu geben, oder hast du schon versucht die Sterne am Himmel zu zählen? Stell‘ dir vor sie wären alle Wünsche die zum Himmel steigen. Träumereien, viel verlacht und doch so wunderbar. Manchmal wünschte ich die Feuermotten jeden Abend zu besuchen.
Warum blickst du plötzlich so traurig?
Du hast es wohl gesehen. Die Feuermotten, sie steigen auf, erleuchten den Himmel und malen Bilder aus Luft und Sehnsucht in die Welt und doch ist jede nur von kurzer Dauer, kaum sind sie des Feuers entwachsen verlieren sie an Kraft, werden blass. Als schwarzer Schnee gehen sie auf uns nieder, jede ein verlorener Gedanke und achtlos schnippen wir sie uns von den Schultern. Die Wiese ist zu ihrem Friedhof geworden. Aber was heißt das schon? Nur Dünger für die jungen Gräser.
Die Nacht ist kalt geworden, kein Feuer mehr und keine Motten. Lass uns bitte gehen‘.  Ja, ich weiß was ich gesagt habe, der Mann lässt die Flammen nicht verhungern. Sieh genau hin, die Glut ist noch da, in dem Haufen aus verbranntem Laub.
Morgen wird es wieder lodern.

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