Samstag, 2. April 2011

Muss ich mich selber finden?

Ich mochte die Aussage „muss mich selber finden“ noch nie besonders. Meiner unbedeutenden Meinung nach ist es vielfach nur ein Platzhalter für „ich weiß nichts mit mir anzufangen“ oder ein Ausdruck der Nicht-Akzeptanz der eigenen Persönlichkeit. Oder eine Ausrede dafür jede Verantwortung für die bisherigen Taten über Bord zu werfen.
Wo sollte man sich selbst auch finden? Gibt es etwa einen Ort an den man gehen kann, eine Art magische Höhle in deren Innerem das eigene, wahre Selbst einer Wandmalerei gleich vor einem ausgebreitet liegt und alles was notwendig ist um das Glück im Gleichgewicht zu finden ist ein Blick auf dieses Kunstwerk? Daran glaube ich nicht.
Natürlich wäre es, den schamanischen Traditionen folgend, möglich eine Reise in die eigene Psyche, im Sinne von Psychonautik, zu beginnen – eine Art symbolische Odyssee auf der Suche nach dem Kern, quasi das Schälen der Persönlichkeitszwiebel. Dort würde man wirklich sich selbst finden können, den nackten Nukleus dessen was wir „Persönlichkeit“ nennen. Die Reise lohnte sich sicher aber eine solche wagen selbst in den erdverbundensten Kulturen nur wenige und nicht jeder kommt zurück.
Wenn man sich selbst verliert, dann liegt das wohl meistens daran, dass die Person aufhört Dinge zu tun die ihr wichtig sind und beginnt einen Kompromiss nach dem anderen mit dem Leben zu schließen, mit jedem weiteren wird der nächste ein kleines bisschen leichter. Schon klar, das ist eine alte Weisheit aber wahr es trotzdem. Nur zu leicht verfällt man in eine Art Dämmerschlaf, dieses Dahintreiben im Alltag der die eigenen Grenzen abschleift wie das Meer die Steine am Strand. Das kurze Gewahr werden dieser Realität nenne ich gerne das „Fake Empire“-Gefühl aber dazu habe ich einen eigenen Eintrag in diesem Blog – schaut einfach mal nach!
Auch wenn das jetzt altmodisch klingt, mit den Kompromissen und dem Treibenlassen im Alltag geht ein kleines bisschen Unschuld in uns verloren. Manchmal glaube ich, dass es die Erkenntnis dieses Verlustes ist, die uns dazu bringt nach einem „besseren“, „reineren“ Selbst zu suchen. Der Mann der nach 40 Jahren, 20 davon im Berufsleben, feststellt, dass all die Dinge, die er als Teenager tun wollte immer noch auf der Liste stehen, die Frau die mit 50 erkennt, dass sie eigentlich nur für die Kinder und den Mann gelebt hat – sie haben alle das Gefühl auf dem Weg etwas verloren zu haben. Aber genauso wenig wie ich wieder körperlich ein Kind werden kann, egal wie groß der Wunsch ist, werde ich den emotionalen Zustand eines früheren Zeitpunktes wiederherstellen können. Wir müssen mit unseren Kompromissen leben.
Problematisch ist dieses „sich selber finden“ auch, weil es, zumindest in Ansätzen, ein statisches Ich voraussetzt. Wieder eine Sache an die ich nicht glauben kann. Dieses Bündel aus Einstellungen, Emotionen, Bewertungen und Vorurteilen, das wir so gerne „Ich“ nennen befindet sich ständig im Fluss, jede Entscheidung führt zu geringfügigen Verschiebungen in diesem delikaten Gleichgewicht, viele davon dann zu Umbrüchen die den gewaltigsten Auswüchsen der irdischen Platentektonik ins nichts nachstehen . Hier ein fest verankertes „Ich“ zu suchen erscheint wie der Kampf gegen Windmühlen und vielleicht sogar schon pathologisch. Wer mit aller Kraft an einem bestimmten Zustand zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt festhält wird quasi in seiner Entwicklung eingefroren, so tot wie ein Ölgemälde an einer Wand. Möchten wir das wirklich, in den in den Tiefen unserer Herzen? Ein solches Zerrbild der Realität sein? Für immer erstarrt in der Pose eines Moments? Ab und zu sehe ich Menschen die genau das geworden sind – eingefrorene Karikaturen ihrer selbst. Da kennt ihr doch auch welche, oder? Leben ist Bewegung – klingt komisch ist aber so.
Schamanen sind vielleicht die Ausnahme, stehen sie doch außerhalb der Zeit, so wie sie in der Sippe zwar eine zentrale Rolle spielen aber doch immer am Rand tanzen, zwischen zwei Welt, keiner wirklich zugehörig (auch hier empfehle ich die Lektüre von Joseph Campbell und seinem 4-bändigen Werk zu den Mythologien der Welt).
Aber was kann man tun? Wenn ich wirklich die Patenlösung hätte wäre ich viel zu reich um mich um diesen Blog zu kümmern. Ein Privatsekretär hätte diese Zeilen zusammen mit einer Marketingagentur verfasst und sie würden daher viel geschliffener und politisch korrekter klingen.
Wie glaube ich, dass es gehen könnte? In dem man bewusster lebt, eben nicht in diesen Halbschlaf verfällt sondern jeden seiner Kompromisse genau abwägt. Indem man nicht versucht zurückzugehen an einen Ort, eine Zeit oder einen Zustand von dem man glaubt das wäre das Ideal gewesen sondern sich nach vorne bewegt , versucht aus der Person die man jetzt gerade ist, eine Entwicklung anzugehen in Richtung der Person die man gerne sein möchte. Ja, ich glaube das ist zentral. Du, ich, wir alle haben dieses Potential denn einen Tag älter als noch gestern zu sein hat auch Vorteile – Erfahrungen wurden gemacht, dieses kleine Bündelchen genannt „Ich“ hat sein Gleichgewicht wieder ein bisschen verschoben und dadurch neue Perspektiven eröffnet.
Also – der zu sein der du warst geht nicht, du würdest eine Karikatur deiner selbst werden – also versuche dich zu dem zu entwickeln der du gerne sein würdest und zwar auf Basis von dem, der du jetzt bist. Das geht aber nur, wenn man die jetzige Person akzeptiert und nicht als „Fehltritt“, als „Sackgasse“ betrachtet. Alle Klarheiten beseitigt? Sehr schön.

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