Was macht den Menschen aus? Diese Frage stellte ich mir als ich den Blog einer sehr geschätzten Bekannten aus Twitter las. Für mich schwingt da auch immer ein bisschen die Frage mit: Wie ist der Mensch?
Mach ich mir vielleicht zu viele Gedanken? Wahrscheinlich, das muss jetzt die mindestens die sechste oder siebte Idee für einen Eintrag hier sein die mir durch das Lesen eines anderen Blogs gekommen ist. Egal, weiter im Text.
Die Frage kann man auf zwei sehr verschiedenen Ebenen sehen, die eine ist, was ein Mensch ist, wie wir das wirklich Menschliche definieren wollen. Man kann darauf eine sehr einfache oder eine sehr komplexe Antwort geben. Aber dazu später mehr.
Die andere Ebene wäre was ich, als Mensch bin, im Kern, wenn das Drumherum wegfällt. Auch darauf gibt es verschiedene Antwort die unterschiedlich leicht zu erläutern sind.
Ich würde ja gerne behaupten der Mensch sei im Grunde seines Herzens edel, hilfreich und gut und nur die Gesellschaft oder was auch immer würde ihn schlecht machen und zu bösen Taten bringen. Das glaube ich nicht, kann ich nicht glauben. Wer ein wenig mit der Menschheitsgeschichte vertraut ist wird wissen, dass es das, was wir gerne als „Das Böse bezeichnen“ immer schon da war, sowohl im Kleinen als auch im Großen. Es begegnet uns in alle Mythen dieser Welt, in Geschichte, Aufzeichnungen, wir kommen dem nicht aus. Und im Grunde ist das auch kein Wunder. Der Mensch ist nicht die dominante Spezies auf diesem Planeten geworden weil er vom Wesen her besonders tolerant, friedfertig und kompromissbereit gewesen wäre. Jedes Mal wenn ein neuer Lebensraum durch den Menschen besiedelt wurde war das ein Akt der Gewalt und Aggression, wo auch immer der Mensch sich verbreitet hat zieht sich eine Schneise der Verwüstung und Ausrottung durch den Fossilienkatalog, egal ob wir die Wanderung der erste Menschen über den amerikanischen Doppelkontinent oder die Züge unserer Vorfahren von Afrika durch Europa betrachten, es besteht kein Zweifel, dass dort eine destruktive Macht am Werke war der lange vor der Existenz der Liste bedrohter Tierarten mehr als nur eine Spezies zum Opfer fiel, vor allem jene die das Pech hatten in einem eingegrenzten Lebensraum zu verweilen der zufällig im Weg dieser spärlich behaaren, zweibeinigen Wilden lag.
Wer mit den friedfertigen, spirituellen Inkas und Mayas anfängt den muss ich an dieser Stelle leider enttäuschen, die hatten einen enorm destruktiven Einfluss auf ihre Umwelt (nicht zu erwähnen auf ihre unterdrückten Nachbarn). Auch die Ureinwohner Nordamerikas waren nicht unbedingt so im Einklang mit der Natur wie man es heute darstellt. Zwischen uns und diesen vergangenen Kulturen besteht eher ein quantitativer denn ein qualitativer Unterschied, man könnte sagen die hatten Streichhölzer, wir Napalmbomben. Die Aggression treibt die Spezies Mensch voran (und wahrscheinlich auch die meisten anderen fühlenden Lebewesen), sie ist die Kraft die uns den Verbrennungsmotor beschert und einige sogar bis zum Mond getragen hat. Ein kleiner Zusatz an jene die an Außerirdische glauben – sofern das Leben im Weltall unserem auf der Erde ähnelt wird es auch dort miteinander konkurrierende Ökosysteme geben und wahrscheinlich wird jene Spezies die Raumfahrt entdecken, die in diesem Konkurrenzkampf am erfolgreichsten ist – man kann also durchaus mit aggressiven Außerirdischen rechnen (Anmerkung: Da gibt es auch ein gutes Gegenargument aber dazu später mehr).
Was wir als edel, hilfreich und gut bezeichnen sind Eigenschaften die in der von uns sozial erwünschten Ausprägung wohl er ein neueres Phänomen in der Geschichte der Menschwerdung darstellt. Dabei wird jene Einstellungen die man normalerweise seiner Rotte/Horde/Rudel/Stamm entgegenbringt auf eine größere soziale Einheit übertragen, im idealen Fall auf die gesamte Menschheit und zwar nicht nur wenn es uns gerade nichts kostet sondern immer. So, da haben wir also auf der einen Seite einen hochentwickelten Raubaffen mit allen Instinkten die ein Raubtier so hat und auf der andere Seite den sozialen Anspruch edel, hilfreich und gut zu sein. Schwierig – und ich kenne nur wenige Menschen die das gut in Einklang bringen. Damit wird der Mensch zu einem sehr widersprüchlichen Wesen, wir können verdammt gut sein, wenn wir es schaffen uns von dem zu lösen was eigentlich eine Notwendigkeit war um zu dem zu werden was wir heute sind. Und dann können wir auf der anderen Seite wirklich verdammt böse sein – und damit meine ich wirklich böse, im Sinne von: Die eigenen Kinder foltern und unvorstellbare Sachen mit anderen Menschen anstellen die ich hier oder sonst wo weder beschreiben kann noch will.
Kennt irgendwer hier noch Bill Hicks? War ein großartiger Stand-up Comedian aus den USA, leider viel zu früh gestorben aber unglaublich einflussreich für andere Comedians in den frühen 90er Jahren des letzten Jahrtausends. Er sagte, dass es im Prinzip auf eine Entscheidung hinausläuft – auf die Stimme der Liebe oder auf die Stimme der Angst hören. Damit trifft er meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf. Die Aggression die uns vorantreibt beruht beinahe ausschließlich auf Angst – Angst vor dem was hinter dem nächsten Busch lauert, Angst vor dem Kometen, Angst vor dem Eis, Angst vor der Bedeutungslosigkeit, Angst vor der Auslöschung, Angst vor dem was wir nicht kennen und schließlich Angst vor der Angst. Die größten Waffen baut der, der die größte Angst hat, wir bewundern die Mutigen aber Mut ist auch nur eine Möglichkeit mit der Angst umzugehen. Leider ist diese Angst der zentrale Taktgeber für alle aktuellen Entscheidungen – Waffen für den normalen Bürger, dickere Schlösser, Bandenkriminalität. Alles Angst. Und bevor du jetzt sagst du lässt dich nicht von der Angst beherrschen – geh mal nachts in die U-Bahnstation und betrachte deine Reaktion wenn ein Mann anderer Hautfarbe in Kleidung die nicht aus Anzug und Krawatte besteht, auf dich zu kommt. Beobachte dich ganz ehrlich und unvoreingenommen. Die Angst ist verdammt stark und unser ständiger Begleiter. Macht ja auch irgendwie Sinn – selbst wenn du dich von der Stimme der Liebe leite lassen würdest weißt du nie wie sehr die Angst vor irgendwas den anderen leitet (so ähnlich wie wenn mein Vater mich auslacht wenn ich Angst vor Schlangen hab, der meint dann immer: „Aber du bist doch keine Bedrohung für das kleine Tier, die hat keinen Grund dich anzugreifen.“ Dann frage ich mich immer: „Klar, aber weiß die Schlange das?“).
Ist das Ideal? Nein. Gefällt es mir? Nein. Vor allem aber frustriert es mich ungemein weil ich weiß wie verdammt gut der Mensch sein kann wenn er seine Angst nur überwinden könnte. Da kommen dann ganz großartige Individuen bei raus von denen wir sehr viel lernen könnten. Aber wie sagte Bill Hicks so schön? We shoot those people. An dieser Stelle lacht das Publikum immer besonders herzhaft.
Was wäre wenn die Liebe die Oberhand gewänne? Sicher nicht das Paradies auf Erden, dazu sind wir zu sehr instinkthafte Wesen, aber es würde für alle beteiligten auf jeden Fall ein besserer Ort und vor allem: Wir hätten eine Chance. Ja, ihr habt mich richtig verstanden, so wie es jetzt läuft ist unsere long term survival chance irgendwo bei null. Früher oder später wird der Mensch sich mit seiner jetzigen Einstellung und Vorgehensweise aus der Geschichte höchst persönlich hinauskatapultieren und, wie ich vermutet, auf sehr spektakuläre Weise. Das muss nicht zwangsläufig das Ende des Homo Sapiens Sapiens sein aber auf jeden Fall der Verlust fast aller Fortschritte der letzten 5000 Jahre und das Ende der Ambitionen jemals zu den Sternen zu gelangen. Das ist das Gegenargument zu aggressiven Außerirdischen. Klingonen würden niemals das Weltall besiedeln, diese extreme Aggressivität ist nicht vereinbar mit einem solch gigantischen Unternehmen. Eine raumfahrende Rasse müsste eher wie die Föderation der Planeten sein, vielleicht nicht perfekt aber doch in der Lage die Angst besser zu kontrollieren als wir es bisher konnten. Gene Roddenberry hatte da eine wunderbare Vision vom Menschen der Zukunft, interessant ist – umso mehr Gene die Kontrolle entglitt und natürlich nach seinem Tod besonders, wurde Star Trek zunehmend düsterer mit Deep Space 9 sicher als Höhepunkt. Vielleicht gehört ja Deep Space 9 deshalb zu den beliebtesten Spin-Off Serien weil die Föderation (inklusive illegaler genetischer Experimente und Verschwörungen innerhalb der Führungsriege) dort uns mehr ähnelt als das quasi-Utopia von dem Picard berichtet. Auch das gibt mir zu denken. Das Universum ist verdammt alt, Leben hatte lange Zeit sich anderswo zu entwickeln. Dass sie bisher noch nicht hier sind könnte auch bedeuten, dass sie längt in den eigenen ausgebombten Ruinen vermodern weil die Angst, die Triebkraft im Konkurrenzkampf der Ökosysteme, vielleicht am Ende immer die Oberhand gewinnt. Das macht MIR jetzt Angst.
Kommen wir aber mal zu den eingangs erwähnten Fragen. Was macht den Menschen aus? Das kann man genetisch beantworten: Alles was menschliche DNA hat. Man kann es funktional beantworten: Sieht es aus wie ein Mensch, verhält es sich wie ein Mensch – dann ist es ein Mensch. Aber wie könnte man das enger, sinnvoller fassen? Und ich glaube da beginnt das Problem wenn man sagt wer das und das tut oder so und so ist, der ist für mich kein Mensch mehr. Ist man nur ein Mensch, wenn man geistig gesund ist? Schwer, dann hätten wir viele nicht-Menschen. Ist der ein Mensch der einen unversehrten, menschlichen Körper hat? Dann würde man alle Menschen mit Behinderung aus der Definition rausnehmen. Sind Leute die Taten begehen die ich einfach nicht begreifen kann keine Menschen mehr? Und wo ziehe ich da die Grenze? Ab welcher Schwere der Tat verliert man seine Menschlichkeit? Ich persönlich weiß mir da keinen Rat und komme zu dem Schluss: Mensch ist eine Zuschreibung ohne Wertung, auch jemand der Unvorstellbares tut ist ein Mensch (und bitte: Nie „Tier“ sagen, Tiere treffen keine bewussten moralischen Entscheidungen weder im Guten noch im Bösen, Tiere sind im wahrsten Sinne des Wortes „unschuldig“ weil nicht schuldfähig), vielleicht kein Guter, möglicherweise sogar ein ganz Widerwärtiger aber immer ein Mensch.
Wie sieht es mit der anderen Frage aus: Was macht den Menschen in seinem Kern. Es ist eine altbekannte Tatsache dass wir, wenn nach unserer Identität gefragt, immer mit von außen vorgenommenen Zuschreibungen antworten: Mit dem uns gegebenen Namen oder unseren Funktionen wie Ich bin Schüler, Vater, Mutter, Student, Sohn von X, Tochter von Y, Bundespolitiker. Ich bin also anscheinend nur irgendetwas wenn ich von außen betrachtet werde, die Identität scheint bei der Geburt geliehen und am Todestag wieder abgegeben zu werden. Was bin dann aber ich, der Mensch der hier sitzt und tippt? Fällt mir dazu überhaupt etwas ein? Ich bin Schriftsteller … auch das nur eine Tätigkeitsbezeichnung und dabei nicht mal sonderlich zutreffend. Bin ich das was bleibt wenn ich die Augen schließe? Hilft nicht wirklich, denn die Antwort wird auch keine bessere dadurch. Bin ich vielleicht ein guter Mensch? Ist auch für die Katz‘ denn durch mich selber und nur für mich kann ich nicht gut sein und außerdem sind „gut“ und „schlecht“ auch sozial determiniert. Am ehesten würde ich sagen, dass ich das bin worüber ich lachen und weinen kann, was mich glücklich und traurig macht, die emotionalen Moment jenseits der Worte, ich bin das was ich tue, deshalb ist die Frage „Wer bist du?“ meiner Ansicht nach hohl, sie geht in die falsche Richtung. Sie fragt sozusagen nach einem Zustand während das „Ich“ ein dynamischer Prozess zu sein scheint, alles andere sind hübsche Etikette die man mir aufgeklebt hat, nett um meine spezielle Schublade zu kennzeichnen aber im Grunde austauschbar. Ob ich jetzt Dan, Mike oder Tom bin ändert daran gar nichts (obwohl wir uns extrem stark mit dem eigenen Namen identifizieren).
Fazit? Braucht es ein Fazit? Grundsätzlich kann der Mensch alles sein was er will, gut Böse, Monster und Engel. Alles was es braucht ist eine bewusste Entscheidung in die eine oder andere Richtung denn bisher eierten wir als globales System irgendwie so rum. Menschen die auf ihr Herz hören braucht es. Ansonsten können wir eigentlich gleich einpacken und die Geschichte den Löwen, Tigern, Eisbären, Robben, Kakerlaken, Schildkröten, Haien, Pelikanen, Gnus usw überlassen - wobei es sicher für die einfacher wäre ohne uns. Die wird es nämlich dank uns vielleicht bald nicht mehr geben und wie sagte Terry Pratchett ungefähr? Eine Welt mit Tigern drin ist eine bessere Welt, zumindest für die Tiger. Und was Haie angeht - ich krieg immer ne Gänsehaut wenn ich dran denke wie furchtbar beschissen es sein muss zu den vielleicht erfolgreichsten und ausgefeiltesten Designerstücken der Evolution zu gehören und dann einfach ausgerottet zu werden werden weil ein paar haarlose Affen am anderen Ende der Welt Haifischflossensuppe für eine Delikatesse halten.
Und ich stimmte Pratchett völlig zu: Sicher, die Evolution hat 99% aller Lebensformen ausgerottet die jemals gelebt haben aber sollten wir nicht etwas klüger sein als ein Eisball aus den tiefen des Alls oder ein verdammter Vulkan?
Wie gesagt, wir können alles sein - nur wenn wir uns entscheiden Todesengel für all diese Tiere zu spielen sollten wir uns auf das Menschsein etwas weniger einbilden.
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