Samstag, 2. April 2011

Heilung

Heilung ist eine komische Sache. Bei körperlichen Verletzungen kann sie ganz einfach und geradlinig verlaufen, wie damals mein gebrochenes Handgelenk. Zuerst hat es eigentlich gar nicht weh getan, dann kam der Schmerz, wurde immer unerträglicher und schließlich der Arzt mit Gips und Tabletten, damit wurde es ziemlich schnell besser. Heute könnte ich gar nicht mehr genau sagen wie es sich angefühlt das, obwohl ich noch weiß, dass es schlimme Schmerzen waren, wurden diese von meinem Gehirn einfach weggepackt und durch eine schlichte Notiz ersetzt. Unsere Erinnerung hat da wirklich ein paar tolle Tricks auf Lage.
Seelische Verletzungen sind da eine ganz andere Kategorie. Die fangen in der Regel nicht ein bisschen zu zirpen an, sozusagen als Warnung, die tun sofort höllisch weh, manchmal schon vor dem eigentlichen Bruch. Kein normaler Arzt kann mal schnell etwas Gips draufschmieren, einbandagieren und eine Röhrchen Tabletten verschreiben, die den Schmerz einfach abtöten. Benzodiazepine kämen vielleicht als Alternative in Frage aber das ist eine düstere Gasse, ich man nicht leichtfertig hinunter wandern sollte. Ich wollte es auf jeden Fall nicht. Seelischer Schmerz überrollt dich, nimmt dir die Luft, lässt dich nicht ruhig sitzen, du hast ständig das Gefühl, dass etwas fehlt, nicht passt, dir durch den Schmerz entgeht. Einfach nur ruhig daliegen, hoffen, dass es vorbei geht, das funktioniert nicht. Alles andere verliert an Bedeutung, du siehst nur diese eine Sache, diese eine Person. Dein Musikgeschmack ändert sich. Lieder, die dich vorher aufgebaut haben, werden plötzlich unerträglich, weil sie dich daran erinnern was du hattest und jetzt durch deine Finger einfach weggeronnen ist. Lesen geht fast gar nicht mehr, die Buchstaben rennen auf dem Papier herum, die Figuren wirken furchtbar platt und trivial – was sind deren kleine Problemchen schon im Vergleich zu dem epischen Schmerz, den du gerade zu ertragen hast?
Du tust das was du kannst, versuchst dich zu erinnern wie es das letzte Mal war, also jemand deine Seele mit glühenden Kohlen bearbeitet hatte. Du liest die Texte von damals, suchst die CDs heraus, besuchst möglicherweise sogar die Orte, die dir wichtig waren. Aber Schmerz ist wirklich eine ganz verteufelte Sache – der den du im Moment hast, ist immer der Schlimmste, den du jemals ertragen musstest. Subjektiv ist das die Wahrheit und nur darauf kommt es an. Also kämpfst du dich durch die lächerlichen Erinnerungen an vergangene Schmerzen, die du jederzeit gegen die aktuelle Agonie eintauschen würdest. Beginnst dich selber zu beneiden, dein altes Ich. Bald bist du so weit gegen die Wand zu laufen, nur weil sie da ist.
Während eine körperliche Verletzung in irgendwie vorhersehbarer Art, Schritt für Schritt, heilt, ist die seelische Verletzung völlig unberechenbar. Du gehst schlafen, fühlst dich wie der letzte Dreck und wachst beinahe frei und unbeschwert auf. Der Schmerz ist weg, nur eine Erinnerung. Du stehst auf, gehst ins Bad und kaum siehst du im Spiegel deine roten Augen ist er wieder da, fällt über dir zusammen wie eine Wasserwand und du weißt plötzlich, wie sich die Armee des Pharaos gefühlt haben muss. Oder vielleicht ist der Schuldige auch ein Lied. Im Prinzip kann jeder noch so unbedeutende Reiz die Hunde des Kriegs auf dich loslassen, dieser komische Stich ins Herz. Und alle kleinen Schrittchen nach vorne sind plötzlich weggewischt, wie Fußspuren am Strand.
Erwarte also nicht einen linearen Heilungsverlauf, Rückschläge sind gerade am Anfang eher die Regel denn die Ausnahme, vielleicht mit einer chronischen Krankheit vergleichbar – man hat gute Tage und schlechte Tage, manche ganz furchtbar schlecht. Alkohol, nur als Warnung, hilft fast gar nichts, jede Minute, die du betrunken bist, zögert den Heilungsprozess nur hinaus, er trübt dein Urteilsvermögen, macht dich noch verletzlicher für plötzlich einfallende Erinnerungen. Selbst wenn du es damit schaffst einen Abend völlig zu vergessen, so erwachst du doch am nächsten Morgen genau an dem Punkt, an dem du zu trinken begonnen hast und zum seelischen Schmerz kommt der Kopfschmerz noch dazu.
Ja, die Erinnerung, die kann weh tun.  Und jetzt kommt etwas, was man dir vielleicht noch nicht gesagt hat, wenn du jünger als Zwanzig bist: Es wird noch Jahre später weh tun.
Es kann sehr lange dauern bis du dich wieder an die Lieder und Filme traust, die du  mit den schönen Stunden verbindest. Ich behalte diese immer im Regal, wo ich sie sehen kann. Manche neigen dazu im ersten Eifer des Gefechts solche Erinnerungen fortzuwerfen oder irgendwo tief im Keller in Kisten zu begraben. Ich persönlich möchte sie haben wo ich sie sehen kann, als einen Gradmesser dafür, wie es mir geht, wie weit ich auf dem Weg schon bin. Ganz am Anfang tut schon der Anblick der Hülle weh, irgendwann kann ich dann den Text auf der Rückseite wieder lesen. Erst im letzten Schritt kann ich sie sogar wieder anschauen und die schönen Erinnerungen, abseits von all dem Mist der passiert ist, erneut genießen. Aber das dauert und es geht auch nicht an jedem Tag. So wie eine alte Narbe bei bestimmtem Wetter wieder zu schmerzen beginnen kann, so spürt man auch alte emotionale Verletzungen, während manchen „seelischen“ Witterungen besser als an anderen. So mancher gute Film wurde mir dadurch für lange Zeit verdorben. Natürlich könnte man jetzt dazu übergehen jene Meisterwerke nur noch alleine zu genießen, um ja keine emotionalen Verbindungen mit anderen Menschen ins Spiel zu bringen, aber das wäre dumm, herzlos und von einer außerordentlichen pragmatischen Kälte geprägt – Dinge die ich glaube nicht zu haben. Außer vielleicht die Sache mit der Dummheit. Egal.
Was mir im Moment sehr hilft ist das hier: HIM „The Funeral Of Hearts.“ Es hat genau die richtige Mischung aus „Liebe ist scheiße“-Lyrics, netter Melodie und Ville Valo. Der Mann ist einer meiner ganz großen Helden und wenn er davon singt wie die Motte von der Flamme angezogen wird, kriegt sogar dieses völlig ausgelutschte Bild noch Bedeutung für mich.
Engel die Blut weinen, Blumen des Bösen in voller Blüte, eine Ode an die Grausamkeit – das sind alles alte Klischees aber genau das ist es was die Seele zur Heilung braucht – das Vertraute, die Geborgenheit … experimentelles Theater oder Orff-Instrumente helfen weniger, das verwundete Tier will in seinen Bau zurück. Warum glaubt ihr wohl haben sich Klischees so lange gehalten? Bei dem Video frage ich mich auch immer wie Ville den Taint hinbekommen hat. Ich möchte auch meine eigene Styling-Crew, dann könnte die Schminke auf meinem Gesicht immer meine Emotionen wiederspiegeln. Nichts nervt mehr als völlig fertig zu sein und gesagt bekommen wie gut man doch aussieht. Aber realistisch betrachtet würde ich dann wohl die ganze Zeit leichenblass und mit schwarzen Haaren durch die Welt taumeln. Auch kein schöner Anblick.
Zum Heilungsprozess gehört auch, dass man sich den Erinnerungen stellt, entkommen kann man ihnen ohnehin nicht. Wenn ich mich also schon meiner Nemesis stellen muss dann zumindest unter meinen Bedingungen und an einem Ort meiner Wahl – auch ein Grund warum ich die Musik und die Filme die ich mit den schönen Zeiten vor dem Bruch verbinde, im Augen haben möchte und niemals fortwerfen würde.  Ein Beispiel für solche mutigen Aktionen gefällig?
Jetzt könnte es etwas komisch werden. Es gibt ein Lied, auf das ich von einer bestimmten Person aufmerksam gemacht wurde, von einem Künstler der zu jenem kleinen Kreis gehört, von dem ich immer dachte, dass in dieser Richtung nicht ein einziges Lied läge, das mir auch nur im Entferntesten gefallen könnte. Ich möchte keine Namen nennen, aber mich jetzt diesem Lied zu stellen ist ein bisschen so wie um 12 Uhr mittags in der brennenden Sonne des Westens zu stehen, auf der Hauptstraße direkt hinter dem Saloon, die Waffe bereit, wartend auf meinen Kontrahenten. Ganz klassisch eben.
Überhaupt ist Musik das Einzige was zu helfen scheint, Musik und Schreiben. Bin selten so kreativ wie wenn es mir schlecht geht. Generell ist HIM was Musik betrifft sehr gut geeignet. Ihre Texte sprechen dann genau das aus was ich denke, das schaffen nur wenige.
Besonders irritierend im Heilungsprozess ist das ständige Schwanken zwischen den emotionalen Polen. Ich will loslassen, diese ganze Geschichte hinter mir am Horizont versinken sehen und doch ertappe ich mich immer wieder mit der Hoffnung, dass es doch noch eine Rettung für das längst gesunkene Schiff gibt. Das ist dumm ich will das nicht. Hassen kann ich auch nicht, kann und will nicht aber lieben, das geht noch viel weniger, jetzt nicht mehr. Ein solches Schwanken wäre bei körperlichen Schmerzen völlig ausgeschlossen, da ist alles grausam-köstlich einfach. Was Schmerz zugefügt hat wird gehasst, verachtet, was Schmerz genommen hat wird geliebt, vergöttert. Bei emotionalen Schmerzen kann das noch nach Jahren so gehen – Gefühlsflashes kommen wann sie wollen, Momente in denen die alte Liebe wieder hochkommt und dich dazu bringt dumme Dinge zu tun. Ist wohl der Grund warum man manchmal Exfreundinnen nach Jahren plötzlich wieder kontaktieren will um nachzufragen was damals eigentlich schiefgelaufen ist. Scheint allerdings bei Frauen wesentlich schwächer ausgeprägt zu sei, bisher hat sich noch keine Exfreundin bei mir gemeldet und ein paar gäbe es da schon. Vielleicht ist das schöne Geschlecht auch einfach nur besser darin diese Impulse zu unterdrücken. Mal abwarten wie es bei mir in diesem Fall in einem Jahr oder so aussieht.
Was hilft denn noch? Vertraute Orte. Ich gehe gerne an den See an dem ich aufgewachsen bin, da gibt es eine wilde Landzung,e die sehr weit ins Wasser hinausreicht, bestehend aus Steinen, die aus der Tiefe hochgebaggert worden waren um die fortschreitende Verlandung der Buchten aufzuhalten. Dort draußen, ganz am Ende gibt es einen kleinen automatischen Leuchtturm, wirklich nichts Besonderes aber in seinem Schatten kann man auf den Steinen sitzen und die Wellen bei ihrem Spiel beobachten. Am Schönsten ist es dort draußen wenn es etwas stürmt und die Wolken über einen stahlgrauen Himmel jagen. Dann sitze ich da im Lichte des Leuchtturms der seine Wetterwarnung mit blinkenden Signalen über den See verkündet. Du würdest mich am äußersten Rand finden, auf einem besonders großen Stein, ich sehe hinaus und beobachte wie die Wellen sich brechen, manchmal weht mir der Wind einige Tropfen der Gischt ins Gesicht und ich stelle mir vor ich wäre der letzte Menschen auf der Welt .. oder vielleicht der erste, der mutig neue Wege geht, diesen fremdartigen Ort erforscht, ungezügelt von allen Zwängen der Kultur. Ich kann dann in den Wind schreien was auch immer mich bedrückt und niemand stört sich daran. Vielleicht hören mich ja die Vögel, aber von denen hat sich noch keiner beschwert. Der Wind streicht mir dann zum Trost durchs Haar.
In diesem Sinne lasse ich euch jetzt wieder in Ruhe mit meinen Gedanken – nicht aber ohne ein paar „heilsame“ Musiktipps am Schluss:

Damien Rice „9 Crimes“ – Ende einer Beziehung, Melancholie, bereuen von Fehlern. Eines der schönsten Lieder zu dem Thema die ich kenne. Liebe auf den zweiten Blick bei mir. Diese Version bitte: http://www.youtube.com/watch?v=vHt72jJ_1t0

The Beatles „Let it be“ – Einfach weil es ein Klassiker ist und der Rat “Let it be” zu einer gescheiterten Beziehung passt wie Butter aufs Brot.

Dreadful Shadows “Futility” – Klassisch traurig-aggressiv. Perfekt für den Herzschmerz.

Anathema “Fragile Dreams” – “I always knew my fragile dreams would be broken for you.” Muss ich mehr sagen?

Lacrimosa “Ich verlasse heut dein Herz” – Eine Beziehung in Würde und aus den richtigen Gründen beenden – würde ich auch gern die emotionale Reihe und Würde für haben.

Atrocity & Liv Kristine „Shout“ – Mir ist gerade nach Schreien und alles raus lassen, könnte also nicht besser sein.

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